Alter Grenzstreit mit neuen Risiken

Die Spannungen zwischen Äthiopien und Eritrea eskalieren wieder. UNO will vermitteln

BERLIN taz ■ Vordergründig geht es um ein paar kleine Wüstengebiete. Die zwischen Äthiopien und Eritrea umstrittenen Gebiete an der gemeinsamen Grenze sind nur wichtig, weil sie umstritten sind und weil ihr Besitz die Frage beantwortet, ob Äthiopien oder Eritrea sich als stärkste Militärmacht am Horn von Afrika fühlen darf. Über 80.000 Soldaten beider Seiten ließen beim äthiopisch-eritreischen Krieg 1998 bis 2000 zur Klärung dieser Frage ihr Leben. Aber offenbar reicht das nicht. Die Spannungen zwischen den beiden Ländern steigen gefährlich an.

Hintergrund ist, dass Äthiopien zwar den Krieg gewann, den Frieden aber verlor. Denn nachdem die äthiopische Armee im Mai 2000 die eritreischen Linien durchbrach, sich zum Sieger erklärte und dann einem Friedensabkommen zustimmte, sprach eine von der UNO eingesetzte internationale Expertenkommission im April 2002 die meisten strittigen Grenzgebiete dem Verlierer Eritrea zu. Äthiopien, das sich zuvor zur Respektierung des Kommissionsvotums verpflichtet hatte, war empört. Seitdem scheitert eine im Friedensprozess vorgesehene Demarkation der Grenzlinie am äthiopischen Widerstand. Im November zogen die Grenzexperten der UNO weitgehend ab. Seitdem fürchtet die UNO, die rund 4.000 Blauhelmsoldaten an der Grenze stationiert hat, einen neuen Krieg.

Äthiopische Forderungen nach einem „alternativen Mechanismus“ zur Festlegung der Grenze werden international abgelehnt, weil laut Friedensvertrag die Entscheidung der Grenzkommission bindend ist. Eritreische Forderungen nach Zwangsmaßnahmen gegen Äthiopien werden ebenfalls abgelehnt, weil dies Eritrea dazu ermutigen könnte, sich im Recht zu fühlen, falls es den neuen Grenzverlauf mit Gewalt herstellen wollte. Von Seiten der USA, der EU und der UNO wird ein Dialog angemahnt, damit die beiden Länder über andere Aspekte ihrer Beziehungen reden – in der Hoffnung, dass sie irgendwann die Grenze nicht mehr so wichtig finden.

Zu diesem Zweck ernannte UN-Generalsekretär Kofi Annan zu Weihnachten einen Sonderbeauftragten: Lloyd Axworthy, zu Zeiten des letzten äthiopisch-eritreischen Krieges kanadischer Außenminister und heute Vorstandsmitglied von „Human Rights Watch“. Die Nähe des UN-Beauftragten zu einer Menschenrechtsorganisation, die Eritrea immer wieder scharf wegen politischer Unterdrückung kritisiert, war wohl einer der Gründe dafür, dass Eritrea Axworthy schon vor seiner offiziellen Berufung scharf ablehnt. Äthiopien begrüßt seine Berufung als Schritt zu dem gewünschten „alternativen Mechanismus“, was die UNO wiederum für ein Missverständnis hält.

Während dieser Vermittlungsversuch also schon vor seinem Beginn im Streit untergeht, sammelt Äthiopien diplomatische Punkte, obwohl nach dem Buchstaben des Friedensvertrages Eritrea eindeutig im Recht ist und Äthiopien nicht. In seinem jüngsten Lagebericht vom 19. Dezember übt Annan schärfere Kritik an Eritrea als an Äthiopien. „Während es auf keiner Seite offensichtliche Zeichen einer Vorbereitung von Feindseligkeiten gibt, trägt die jüngste inflammatorische Rhetorik insbesondere in Eritrea nicht dazu bei, den Friedensprozess voranzubringen“, schreibt Annan. Komplette eritreische Militärverbände seien in die Nähe des am heftigsten umstrittenen Ortes Badme entsandt worden, angeblich für „Landarbeit“. Von äthiopischer Seite würden wiederum Bauern mit bewaffnetem Begleitschutz in die UN-überwachte entmilitarisierte Zone einrücken.

Ende 2003 schlossen Äthiopien, Sudan und Jemen außerdem einen Sicherheitspakt, den Eritreas Regierung als „gegen Eritrea gerichtet“ empfand. Sudans Regierung wirft Eritrea vor, sudanesische Rebellen zu unterstützen, und forderte am Montag den UN-Sicherheitsrat zu Maßnahmen gegen Eritrea auf.

Rückenwind bietet Äthiopien auch der internationale „Krieg gegen den Terror“. Die USA jagen am Horn von Afrika vermutete Al-Qaida-Terroristen und kooperieren dabei eng mit den Armeen Äthiopiens und Kenias. Gestern traf Israels Außenminister Silvan Schalom mit einer großen Delegation in Äthiopien ein, ein erster derartiger Besuch seit 1991. DOMINIC JOHNSON