Trau dich: Ein Besuch in der „Hochzeits-Welt“
: Albtraum in Weiß

Draußen liegt der Teltow-Kanal an einem tristen Januarsamstag ganz wunderbar im Nebel, drinnen sind die Träume im nüchternen Neonlicht des Ullstein-Hauses ganz in weiß und „für alle, die sich trauen!“ Viele junge Pärchen, einige Frauen mit ihrer besten Freundin oder auch schon mal ganze Brautfamilien streifen durch die Messehallen, wo die Aussteller der „Hochzeits-Welt“ noch mal so richtig Druck machen. Superlativistisch bemüht man sich, auch ja an alles zu denken, was man zum „unvergesslichsten Tag in Ihrem Leben“ vergessen haben könnte: „Ja, ich will! – Heiraten im Schloss“ und anschließend Flitterwochen im Fünf-Sterne-Schuppen auf Rügen.

Trauringe erhält man mit Einkaufsgutschein 200 Euro billiger, bei einem Mindestkaufpreis von 450 Euro. Catering-Agenturen offerieren Suppen ab 300 Portionen mit 15 Prozent Rabatt. Fotostudios locken mit erotischen Porträts der Braut als junger Hausfrau am Vorabend der Trauung. „Komm Se, gucken Se sich die Fotos in Ruhe an, Se ham acht Euro Eintritt bezahlt“, sagt die Frau am Stand.

Zwar musste der Vortrag zum Thema „Ehevertrag“ leider krankheitsbedingt ausfallen, wie ein Schild vor dem leeren Workshop-Raum mitteilt, aber dafür durchleuchten „Ihre unabhängigen Finanzoptimierer“ das Hochzeitsbudget. Und wenn man wirklich alles richtig machen will, kann sich märchenhafte Romantik schon bei der Wahl der Einladungskarten einstellen: „ ‚Es war einmal‘, wird man später sagen, ‚schon die Einladung ein Traum‘.“

Spätestens bei den Brautmoden – mit den beiden Hauptanbietern Gül-Sah und Balayi Magazasi fest in türkischer Hand – stellt sich der ästhetische Overkill in hundertprozentigem Polyester ein („bitte nur in die Trockenreinigung geben!“). Solariumgebräunte Diskoschönheiten betrachten sich mit kritischem Blick in voluminösen Bustier-Kleidern. „Für ihn“ gibt es dagegen leicht ludenhafte Zirkusdirektorenfracks, gerne auch ganz in Weiß, augenzwinkernd die Hand in der Hose, dazu Ohrring und die Vokuhila-Frisur zum Pferdeschwänzchen dressiert.

Das alles ist ziemlich trostlos. Wer die Softpornoromantik der RTL-Show „Der Bachelor“ („Willst du diese Rose?“) für einen schlechten Scherz durchgeknallter Fernsehmacher gehalten hat, wird auf der „Hochzeits-Welt“-Messe bloß niemanden finden, der ihn verstanden hat. Zu lachen gibt es hier eigentlich nichts, dafür scheinen die Bachelors und Bachelorettes mitten unter uns zu sein. Beziehungsweise wir unter ihnen: Lauter Kleinbürger – egal ob neue Konservative oder alte Prolls – auf der Jagd nach dem verlorenen Schatz, den Verheißungen der überkolorierten Wegwerfwerbungen, die sie einem hier an jeder Ecke in die Hand drücken. Dafür stellen sich plötzlich ungeahnte Sympathien für Britney Spears ein, nach dreizehn Stunden schon wieder geschieden, das Ganze in Baseballmütze und Jeans und in Las Vegas.

Natürlich machen Staat und Kirche in diesem Klima keine gute Figur. Ihre Bemühungen, dem Thema Heirat etwas von seinem sakralen Ernst und seiner Würde zurückzugeben, finden in einem Raum statt, der den zu Tode gesparten Charme einer Volkshochschule besitzt. Auf einer ehrenamtlich selbst gemalten Wandzeitung hat jemand zusammengeklebt, „was einem wichtig ist“, zum Beispiel „viel Zeit miteinander verbringen“, „miteinander streiten können“, „sexuell anziehend bleiben“, „keine Geheimnisse voreinander haben“, „aktiv in der kirchlichen Gemeinschaft leben“ und „Kinder haben wollen“. Darauf wird es wohl hinauslaufen.

Nicht erst hier fällt einem jedoch auch wieder ein, dass in den Religionen der „Hochzeits-Welt“-Besucher ja der einzige erlaubte Weg zum Sex ausschließlich über die Heirat führt. Daraus müssten die Kirchen doch eigentlich viel mehr machen, denkt man noch, während die gesamte Messe längst einen immer pornografischeren Grundzug bekommen hat, eine Art Sexmesse in Brautmoden.

Man könnte sagen, dass das seriöse und zeremonielle Ritual der Eheschließung sich schlecht mit dem lauten Marktschreierischen, dem fahrenden Händlertum einer solchen Veranstaltung verträgt. Man könnte aber auch schlicht auf die Werbung „Ganz in Weiß“ verweisen, auf der eine barbusige Braut mit zähnebleckendem Lächeln weiß, dass „sie ihr Hochzeitskleid wohl über kurz oder lang ablegen“ wird, dass aber „das strahlend weiße Trau-dich-Lächeln von „Power-Bleaching“ manchmal länger hält als die Ehe“.

Worum ging es gleich noch mal? – Auf einem grell illuminierten Laufsteg führen zittrige Models schließlich noch mit wackeligem Gang die neueste, älteste Brautmode vor, um sich dafür auch noch gemeinsam mit dem Publikum von einem Fußgängerzonenmoderator verarschen zu lassen: „Hier hängt die Schleppe!, das kann passieren!, denn das ist live!, meine Damen und Herren!“

Alles auf der „Hochzeits-Welt“ schreit nach einem fürchterlichen Aufwachen mit der Erkenntnis, dass das eigene Leben – zum Beweis am besten noch vom Profifotografen auf Video verewigt – gar kein „Traum in Weiß“ ist. Oder einfach danach, diese Veranstaltung so schnell wie möglich zu verlassen. Raus in den wunderbar nasskalten, grauen Samstag, weit und breit keine Hochzeit in Sicht!

ANDREAS MERKEL