Nobles Denken

Intellektueller Liberaler: Gestern wurde der italienische Philosoph Norberto Bobbio in kleinem Kreis beerdigt

Privat, im engsten Familienkreis, wurde gestern Norberto Bobbio zu Grabe getragen. Der 94-jährige Rechtsphilosoph und Politiktheoretiker, der am Freitag in Turin gestorben war, hatte es selbst so gewünscht. Dabei hätte Bobbio, der vor 20 Jahren vom damaligen Staatspräsidenten Sandro Pertini als Senator auf Lebenszeit auch ins Parlament berufen worden war, allemal ein pompöses Staatsbegräbnis haben können; er war eine der großen moralischen Autoritäten Italiens.

Eine Zeitung wie Le Monde stellte ihn jetzt auf eine Stufe mit Jean-Paul Sartre, Raymond Aron oder Bertrand Russell, und sicher ist richtig, dass auch bei Bobbio sich das theoretische Interesse mit politischer Passion durchdrang. Aufgewachsen in den Jahren des Faschismus, dazu noch in einer regimefreundlichen Familie, kam Bobbio schon als Schüler mit den antifaschistischen Kreisen in Kontakt und engagierte sich in den Kriegsjahren in der kleinen illegalen „Partito d’Azione“. Hier erfuhr er die geistige Prägung, der er in den folgenden Jahrzehnten in Theorie goss. Bobbio war einerseits Liberaler im angelsächsischen Sinne – und deshalb befand er sich in klarer Distanz zu den die antifaschistische Resistenza dominierenden Kommunisten. Andererseits war er für Totalitarismustheorien nicht zu haben. Die Kommunisten waren seine Gegner, nicht seine Feinde, fochten sie doch wenigstens für eine „universalistische Idee“, und der Marxismus galt Bobbio als wenn auch illegitimer Sohn der Aufklärung.

Sein größter publizistischer Erfolg war ihm 1994 mit dem – in Italien weit über 500.000-mal verkauften – Büchlein „Rechts und Links“ beschieden, in dem er darlegte, dass auch nach dem Ende der Blockkonfrontation und dem vorgeblichen Niedergang der Ideologien die Unterscheidung zwischen der politischen Rechten und der Linken alles andere als hinfällig war; Bobbio identifizierte im universalistisch inspirierten Kampf um die Gleichheit aller Menschen das unterscheidende Wesenselement der Linken. So groß der verlegerische Erfolg war, so wenig genoss Bobbio ihn: Seine Gegner hatten schon 1992 eine Schmutzkampagne gegen ihn eröffnet, die sich auf einen von Bobbio an den Duce geschriebenen Bittbrief stützte: Der junge, angehende Professor riskierte Mitte der 30er-Jahre dank seiner antifaschistischen Kontakte seinen Job. Ein gefundenes Fressen für Italiens Rechte, dem Philosophen jene moralische Autorität zu bestreiten, die er sich seit den Kriegs- und Widerstandsjahren erworben hatte. MICHAEL BRAUN