Nur keine Aufregung

Während Regierung und Union über das Zuwanderungsgesetz verhandeln, belegt die Integrationsbeauftragte den Rückgang der Einwandererzahlen

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Marieluise Beck ist eine gute Schauspielerin. Als die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung gestern Vormittag ihren neuesten Migrationsbericht vorstellte, begannen wenige hundert Meter entfernt gerade die Verhandlungen über das Schicksal des rot-grünen Zuwanderungsgesetzes. Natürlich wusste die Grünen-Politikerin genau, was dabei besonders für ihre Partei auf dem Spiel steht. Trotzdem oder gerade deshalb gab sie sich cool und behauptete auf ihrer Pressekonferenz, es gebe „überhaupt keinen Anlass zu aufgeregter Diskussion über Zuwanderung nach Deutschland“.

Um diese These zu belegen, hatte Beck einen Zahlenberg mitgebracht. Denn: „Wer über Zuwanderung debattiert, sollte dies auf der Grundlage verlässlicher Daten und Fakten tun.“ Auf 158 Seiten dokumentierten ihre Mitarbeiter deshalb die Entwicklung der Einwanderungsbewegungen in Deutschland. Das Ergebnis: Im Vergleich zu den 90er-Jahren ist die Zahl der Zuwanderer deutlich zurückgegangen. Während damals noch über 1 Million Zuzüge jährlich zu verzeichnen waren, wurden im Jahr 2002 nur noch rund 840.000 Neuankömmlinge registriert. Davon seien lediglich 658.000 Menschen ausländische Staatsangehörige gewesen, teilte Beck mit.

Noch wichtiger ist der Integrationsbeauftragten der Hinweis darauf, dass gleichzeitig über 620.000 Menschen aus Deutschland wegzogen. Wenn man sich dem Thema Migration „sachlich“ nähern wolle, wie es sich Beck wünscht, müsse man diese Zahl von den Neuzugängen abziehen. Entscheidend sei der „Wanderungsüberschuss“ – und der ist 2002 erneut von „+273.000“ auf „+219.000“ gesunken.

Nach Abschluss ihrer scheinbar staubtrockenen, aber gezielt platzierten Rechenspiele verkündete Beck ihre politische Botschaft: „Die Fakten belegen zweierlei: Deutschland ist gleichermaßen Einwanderungs- und Auswanderungsland.“

Beck bemühte sich so sehr, die von der Union betriebene Empörung über angebliche Massenzuwanderungen ad absurdum zu führen, dass eine Journalistin die zugespitzte, aber nahe liegende Frage stellte, ob Deutschland denn überhaupt ein neues Zuwanderungsgesetz brauche, wenn alles so „unaufregend“ sei, wie Beck ja gerade sagte.

Ein klares Ja oder Nein war der Taktikerin Beck nicht zu entlocken. Solange ein Wille zur Einigung erkennbar sei, sollte man weiterverhandeln, empfahl sie ihrem Parteifreund und Namensvetter Volker Beck, dem einzigen Grünen im Vermittlungsausschuss. Sie habe in ihrer politischen Laufbahn gelernt: „Der Fortschritt ist eine Schnecke.“ Auch bei der Homoehe habe es 10 bis 15 Jahre gedauert, bis die gesellschaftliche Realität sich in Gesetzen wiedergefunden habe. Wenn man es so sieht, ist wirklich alles „weniger dramatisch“.

Der Migrationsbericht im Internet unter www.integrationsbeauftragte.de