Bettler müssen draußen bleiben

Das Weltsozialforum ist ein Gipfel zwischen Erster und Dritter Welt. Zu Beginn brachten „Unberührbare“ einen Hauch indische Realität auf den Kongress

AUS BOMBAY HANNES KOCH

Der sehr dunkle Mann mit dem schwarzen Schnäuzer sagt, er wäre der einzige aus seiner Gegend in Südindien seit 75 Jahren, der ein College besucht habe. Anand Kumar Bolimera lacht bitter. Jetzt, mit 32 Jahren, hat er es zum Master of Business Management gebracht und führt die Kampagne der „Ausgestoßenen“ zum Weltsozialforum nach Bombay.

Die Dalits, die Unberührbaren – 20 Prozent der indischen Bevölkerung, 200 Millionen Menschen – rangieren im komplizierten indischen Kastensystem ganz unten. In der Verfassung stehe, erklärt Bolimera, dass die Dalits ein Recht auf 15 Prozent der Plätze an öffentlichen Schulen und der staatlichen Arbeitsplätze hätten. Faktisch aber würden sie behandelt wie der letzte Dreck. Es habe für einen Dalit, selbst wenn er über Geld verfüge, keinen Sinn, ein Hotel zu eröffnen – bei ihm steige sowieso niemand ab.

Die Demonstration von einigen Hundert „Ausgestoßenen“ aus Bombays Innenstadt zum Gelände des Weltsozialforums (WSF) im Vorort Gore Goan bildete gestern den offiziellen Beginn des vierten Gipfels der Globalisierungskritiker. Zehntausend angereiste Teilnehmer verstopften schon am Mittag das alte Fabrikgelände, um sich mit allen Problemen dieser Welt zu beschäftigen. Und dazwischen auch noch die Dalits. Was haben deren Sorgen mit der Globalisierung zu tun?

Auf den ersten Blick nicht viel, wie die schlichte Hauptforderung nach „Abschaffung“ des Jahrtausende alten indischen Kastensystems beweist. Auf den zweiten schon mehr. Einer Bevölkerungsgruppe, die qua Herkunft von der Wirtschaft der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen ist, kann man nur schwer vermitteln, welchen Vorteil sie aus der Marktwirtschaft ziehen soll. „Die meisten Dalits können am Markt nicht teilnehmen“, sagt Bolimera. Daher die Schlussfolgerung: Nein zur Marktwirtschaft und zur Globalisierung, die ja wesentlich eine Ausweitung derselben darstellt. Und schon sind die Dalits richtig auf dem Weltsozialforum.

Der Einmarsch der einfachen Leute vom Lande brachte gestern einen Hauch indische Realität ins ummauerte WSF-Gelände. Die muss ansonsten draußen bleiben. Die Organisatoren sehen zu, dass keine Bettler zu den Globalisierungskritikern vordringen. Hundert Meter vom Kongress-Campus entfernt liegt das nächste Elendsquartier, wo Menschen, deren Haut die Farbe des Bodens angenommen hat, im Schmutz der Straße schlafen. Manche haben nicht einmal eine Decke, ihre wenigen Sachen liegen zwischen Abfall und Bauschutt herum.

Stärker noch als die vergangenen Sozialforen in Südbrasilien ist das WSF in Indien ein Fremdkörper der Ersten Welt in der Dritten. Beim Forum selbst geht es distinguiert zu. Was brauchen die Globalisierungskritiker? Frisches Wasser aus Tankwagen, damit sie keinen Durchfall bekommen. Vegetarisches Essen und schnelle Datenleitungen. Die Beschilderung in dem weitläufigen Gelände ist hervorragend. Wer trotzdem nicht zurechtkommt, kann auf ein Heer von freiwilligen Helfern zurückgreifen, die nahezu jeden Wunsch bereitwillig erfüllen.

Wie gehen die Teilnehmer mit dem immensen Unterschied zwischen Draußen und Drinnen um? „Indien ist realistischer“, sagt die französische Attac-Aktivistin Julliette Ferand, „hier ist die Armut nicht ghettoisiert wie bei uns.“ Der Gewöhnungsprozess freilich schreitet schnell voran, das schlechte Gewissen nimmt ab. Vor dem Dunkelwerden rasch ins Taxi gesprungen und die Scheibe hoch gekurbelt, damit die leprazerfressenen Hände nicht hineinlangen.