Gender Trouble und Schreckensherrschaft

Siddiq Barmaks „Osama“ ist der erste Film, der seit der Machtübernahme der Taliban und deren Niederschlagung in Afghanistan produziert wurde

1996 brachten die Taliban zwei Drittel Afghanistans und die Hauptstadt Kabul unter ihre Kontrolle. Nun konnten die zielstrebigen Koranstudenten ihre besonders repressive und regressive Idee von Herrschaft durchsetzen: Das Fernsehen wurde abgeschafft, Frauen wurden aus ihren Berufen gedrängt, unter Burkas gezwungen und weggesperrt. Für allein stehende Frauen kam das einem Todesurteil gleich.

Der erste seither in Afghanistan produzierte Spielfilm taucht noch einmal zurück in die Zeit der talibanischen Schreckensherrschaft. Siddiq Barmaks „Osama“ beginnt mit einem spektakulären Bild: Hellblau vermummte Frauen demonstrieren für das Recht auf Arbeit und werden von Milizen mit Wasserwerfern auseinander getrieben.

Als das Krankenhaus, in dem die Mutter (Zubaida Sahar) illegal arbeitet, geschlossen wird, kann sie ihre dreiköpfige Familie nicht mehr ernähren. Da entwickelt die Großmutter (Hamida Refah) eine unkonventionelle These: Zwischen Frauen und Männern gibt es keinen Unterschied. Der Tochter (Marina Godbahari) werden im Schlaf die Haare gekürzt, am Morgen wird ihr ein Käppchen aufgesetzt, und so ist ein neuer Osama geboren.

Als Junge ist auch ein Mädchen nützlich. Es kann die Familie unterstützen und im öffentlichen Raum als Schutzschild auftreten. Osama bekommt einen Job in einem Milchladen, dessen Besitzer den Geschlechtertausch deckt. Dieser erste Schritt zieht weitere Gefahren nach sich, schließlich wird Osama zum Militärdienst eingezogen. In der Kadettenschule fällt ihr distanzierter Blick auf die zentralen Institute der Männerdominanz.

Aber in alldem bleibt das Mädchen ein verhuschtes und getriebenes Geschöpf. Die Angst verlässt Osama nie – und das nicht nur, weil ein Nachbarsjunge das Geheimnis jederzeit aufdecken könnte. Niemals kommen eine Freude am Übertritt oder das Gefühl von Neugier auf. An keiner Stelle wird eine neue Teilhabe von Frauen an gesellschaftlicher Macht sozusagen als Heldentat vorformuliert.

Während einer der Jungsspiele – Osama muss beweisen, dass sie auf Bäumen herumklettern kann – spricht dann die Natur ein Machtwort. Die einsetzende Menstruation setzt dem Abenteuer ein Ende, das an den Beinen entlang sickernde Blut entlarvt Osamas biologisches Geschlecht. Dem steinalten Mullah (Mohammad Nadre Khwaja) war bereits am Jungen die Schönheit des Engels aufgefallen. Nun läuft ihm erst recht das Wasser im Mund zusammen, er entzieht das Mädchen der Gerichtsbarkeit und reiht es in seinen Harem ein.

Es sind natürlich die besonderen weltpolitischen Umstände, derentwegen man diesen Film mögen will. Trotzdem bleibt auch der Eindruck, in ein cleveres und etwas überstrategisiertes Konstrukt verwickelt zu sein. Ein westlicher Blick wird schon in der Anfangssequenz als Unterlage eingefangen: In der Subjektive eines Videobilds werden einem Jungen Dollarnoten für Informationen und Bilder gereicht. Barmak – er ist der Leiter des afghanischen Filminstituts – weiß genau, dass einer Story um Frauendiskriminierung und Transvestismus die höchste Aufmerksamkeit zuteil wird. Auch in nichtislamischen Regionen kann sie als kontroverser Gegenpol zu den so genannten traditionellen Werten gelesen werden. Ähnlich doppelseitig präsentiert Barmak das Bild der Stadt. „Osama“ zeigt die talibanische Stadt als einen Ort der Vernachlässigung und Zerstörung. In der verdörflichten Urbanität bestätigen sich die gängigen Vorurteile vom zivilisatorischen Rückstand islamistischer Gemeinwesen. Man fühlt sich aber auch an ein Kino erinnert, dessen staubige Dörflichkeit dem internationalen Ansehen nicht geschadet hat: das iranische. MANFRED HERMES

„Osama“. Regie: Siddiq Barmak. Mit Marina Godbahari, Zubaida Sahar u. a. Afghanistan/ Irland/ Japan 2003, 83 Min.