Die Raucherinsel

„Wenn die Leute viermal am Abend zum Rauchen auf die Straße müssen, trinken sie statt fünf Bier nur noch drei“

AUS NEW YORK SEBASTIAN MOLL

Menelik Spencer fügt sich vortrefflich in dieses Ambiente. Der 35-Jährige jamaikanischstämmige Brite trägt einen leger fallenden italienischen Anzug in Oliv, dazu eine zart orange Seidenkrawatte, ein cremefarbenes Hemd und Budapester Schuhe. Den Hut hat er im Al-Capone-Stil schräg ins Gesicht gezogen, aus dem eine dicke Zigarre ragt. So lehnt er an einem Fauteuil unweit des Kamins im Campbell Apartment, das im Stil eines Medici-Palazzos eingerichtet ist. In den 30er-Jahren hielt der Bankier John W. Campbell hier legendäre Galas für die New Yorker Gesellschaft ab. Heute ist Campbell Apartment die letzte Bar in Manhattan, in der das Rauchen noch erlaubt ist.

In Campbell’s Apartment gelangt man über einen Seiteneingang des Grand Central Terminal, des erst vor zehn Jahren grandios renovierten neoklassizistischen Hauptbahnhofs von New York. Nur ein DIN-A4-großes Schild an der Vanderbilt Avenue weist auf die Bar hin. Nur eine schmale Treppe führt die zwei Stockwerke hinauf. Nachdem eine junge Blonde im schwarzen Kostüm den schweren Samtvorhang am Eingang zurückgeschlagen hat, öffnet sich ein eigenes Universum, und man tritt ein in einen riesigen Salon. Von der Kassettendecke hängt ein feudaler Kronleuchter, auf persischen Teppichen stehen Rokokosessel.

John Campbell, der in einer Villa auf dem Land lebte, hatte den Raum in den 30er-Jahren gemietet, um in der Stadt Empfänge geben zu können, bevor er nach Hause fuhr. Diese Lage ist heute der große Wettbewerbsvorteil der Bar. Als Bürgermeister Michael Bloomberg vor einem guten Jahr in allen Bars und Restaurants der Stadt das Rauchen verbot, berief sich das Campbell Apartment darauf, dass es nicht im Stadtgebiet liegt. Der Bahnhof gehört dem Staat New York. In dessen Hauptstadt Albany rieb man sich die Hände über die Gelegenheit, den arroganten Manhattanern eins auswischen zu können, und erteilte der Bar freundlich eine Sondergenehmigung. Ein Ausnahme, die sich rentiert: Jeden Abend nach Büroschluss füllt sich der Palazzo, um sieben ist es fast unmöglich, sich einen Weg durch die Menschentrauben und Rauchschwaden an die Theke zu bahnen.

Der Exbankier und hauptberufliche Lebemann Menelik Spencer hat wie die meisten Gäste von der Raucher-Lounge durch Hörensagen erfahren. Seit dem Bloomberg-Erlass wirft er sich mehrmals pro Woche in Schale, packt eine teure Zigarre ein und genießt sie mit einem Glas Kognak am Kaminfeuer. Spencer liebt die Intimität der Abende im Campbell. Man fühlt sich wie auf einer guten Party, von der man hört oder über die man nur mit großem Aufwand etwas in Erfahrung bringt.

Gene, ein junger Büroangestellter, der mit zwei Freunden zusammensteht und zu seinem Martini selbstverständlich eine Zigarette raucht, hat zwei Tage lang in der ganzen Stadt herumtelefoniert, bis er vom Campbell erfuhr. Jetzt kommt er fast jeden Abend hierher. Tracy, die nur ein paar Schritte weiter auf einem Hocker an der gut 15 Meter langen Eichenholztheke sitzt, sagt gar, dass sie seit der Bloomberg-Verordnung fast nur noch ins Campbell geht. Ansonsten habe sich ihr soziales Leben von den Lokalen hin zu Partys verlagert. Die fänden unter Rauchern jetzt weit häufiger statt als vor dem Erlass. Und dennoch ärgern sich nicht alle Raucher im Campbell Apartment über die Bloomberg-Ordonanz. Die deutschstämmige Modedesignerin Karina, die mit ihrer Freundin Pat in der hintersten Ecke des Raums steht und an ihrer Marlboro zieht, findet Bloombergs Schritt richtig und mutig: „Man muss doch den Dingen ins Auge schauen. Rauchen ist nun einmal sehr ungesund. Und ich finde es gut, dass New York den Schritt zu einem neuen Lebensstil geht. New York war schon immer vorne dran. New York ist ein Experiment.“ Dass es eine Ausnahme von der Regel geben muss, findet die Gelegenheitsraucherin dann allerdings auch: „Das hier erinnert an die illegalen Lokale der Prohibitionszeit“, sagt sie und macht eine ausladende Geste. Sie findet das Lokal „irgendwie konspirativ“.

Vor allem warm und gemütlich ist es bei Campbell, und das ist es, was zählt an einem windigen Januarabend bei acht Grad unter null. An der Hudson Street im Greenwich Village reiht sich Kneipe an Kneipe, und im Sommer sah man die Raucher in Gruppen lachend auf dem Bürgersteig zusammenstehen. Heute ist es gespenstisch hier draußen, und die wenigen Gestalten, die von ihrer Gewohnheit ins Freie getrieben werden, sind Mitleid erregend. Vor dem Bivio, einem italienischen Restaurant an der Ecke Horatio Street, steht bibbernd ein junger Mann und sagt: „Heute stellt man sich wirklich die Frage, ob man nicht lieber endlich aufhören sollte.“

Zwei Straßen weiter an der Perry Street lehnt Andrew, den Oberkörper nur mit zwei T-Shirts bekleidet, im Eingang einer namenlosen Bar und flucht. „Angeblich soll die Verordnung die Angestellten in der Gastronomie schützen. Ich bin der verdammte Barkeeper in diesem Laden. Und stehe hier im Frost. Fühle ich mich beschützt? Verdammt, nein.“ Andrew denkt nicht daran, dass Rauchen aufzugeben. Nicht im Entferntesten. Im Gegenteil, er ärgert sich über die Raucher mit schlechtem Gewissen, die stillschweigend die Diskriminierung erdulden. „Wenn die Raucher nicht so apathisch wären, hätte Bloomberg die Verordnung nie durchgekriegt.“ Andrew ist nicht apathisch, er war damals bei den Stadtverordnetenversammlungen und den Demonstrationen gegen das Verbot. „Kein Mensch hat sich blicken lassen“, sagt er.

Die Bediensteten, die Bloomberg schützen zu müssen glaubte, sind sich in ihrem Unmut über die Verordnung überwiegend einig. Der bullige Brad, ein schwarzer 130-Kilo-Mann mit gepiercter Lippe und goldenen Kreolen im Ohr, sorgt im Hogs and Heifers – einer legendären Kneipe im Meat Packing District – für Ordnung. „Wir haben rund 30 Prozent weniger Umsatz seit der Verordnung. Ich bin zwar Nichtraucher, aber ich arbeite auch in der Gastronomie. Und für die Gastronomie läuft es schlecht.“

Das findet auch Dermott, der im Blind Tiger Ale House hinter der Theke steht. Das Blind Tiger ist eine Institution in Greenwich Village und bekannt für seine große Auswahl an Bieren und Whiskeys. „Wenn die Leute drei-, viermal am Abend auf die Straße müssen“, erklärt Dermott, „dann unterbricht das einfach das Erlebnis. Statt fünf oder sechs Bieren trinken die Leute nur noch zwei oder drei.“ Im Schnitt mache er darum 100 Dollar weniger Umsatz am Abend.

Damit geht es dem Blind Tiger noch relativ gut. Vom Brooklyn Ale House auf der anderen Seite des East River hat Dermott erfahren, dass es kurz vor dem Bankrott steht. Viele Betriebe hätten sich deshalb um Ausnahmeregelungen bemüht, doch Bloomberg bleibt hart. Das Geschäft wandert über den Hudson nach New Jersey oder raus aus der Stadt auf Staatsgebiet, wo Befreiungen vom Rauchverbot aufgrund wirtschaftlicher Not leichter zu bekommen sind: „Wir sterben nicht mehr an Krebs“, sagt Dermott, „stattdessen verhungern wir.“

„Ich bin der verdammte Barkeeper und stehe hier im Frost. Fühle ich mich beschützt? Verdammt, nein!“

Sogar als Nichtraucher, meint der rotbäckige Barkeeper, vermisse er das Rauchen, und das nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. „Der Rauch gehört einfach zu einer Kneipe wie unsrer. Es fehlt einfach etwas.“ Und was das Gesundheitsrisiko angeht, da hat Dermott auch eine klare Haltung: „Ich habe mich dafür entschieden, in einer Kneipe zu arbeiten und nicht als Pfarrer.“

Paul findet nicht, dass das Krebsrisiko Berufsrisiko sein sollte. Der 26-Jährige Ire mixt Drinks bei Serenas, der Bar des Chelsea Hotel – jenem Künstlerhotel, in dem sich Jimi Hendrix und Janis Joplin tummelten und in dem Sid Vicious der Legende nach im Heroinrausch Nancy umbrachte. Eigentlich nicht eben das Fitness-Ambiente. Doch Paul ist heilfroh über Bloombergs Rauchverbot: „Ich arbeite in Bars, seit ich fünfzehn bin. Als das Rauchverbot in Kraft trat, habe ich wie ein Kettenraucher eine Woche lang übles Zeug ausgehustet. Mir geht es jetzt deutlich besser.“

Lange nach Mitternacht stehen auf der Lower East Side, dem angesagten Ausgehviertel der trendbewussten Twens, drei Gestalten vor Verlaines, einer Bar an der Rivington Street, und streiten. Das ist nicht ungewöhnlich, New York ist gespalten seit der Initiative seines Bürgermeisters, die Bürger vor sich selbst zu schützen. Ben und Kelly, beide Jungredakteure bei Lifestyle-Zeitschriften, finden die Verordnung gut. Sie seien ja nur Gelegenheitsraucher, betonen sie, und eine rauchfreie Umgebung sei doch für alle wünschenswert.

Das bringt den Dritten der Gruppe auf die Palme. Der junge Mann mit Armeeparka und abgewetzten Jeans wird laut: „Dieses Land wurde auf Tabak aufgebaut, weiß das denn keiner mehr? Thomas Jefferson und George Washington haben ihre Vermögen mit Tabak gemacht. Auch wegen des Tabaks haben wir uns mit der englischen Krone angelegt“, erinnert er und ruft dann: „Ich kann es nicht fassen.“ Dann tritt er seinen Stummel aus und stampft zurück ins Warme.

Um die Ecke, im Pianos auf der Ludlow Street, spielt die Neopunkband Split gegen halb zwei ihr letztes Set. Es gibt stilecht Bier nur aus der Flasche, und niemand stört sich daran, dass im dunklen Raum so manche Zigarettenspitze glimmt. Natürlich hängt auch im Pianos ein No-Smoking-Schild – irgendwo hinterm Tresen. Um diese Uhrzeit fühlt man sich vor Kontrollen sicher. Auch dass alle tanzen, interessiert hier niemanden besonders, obwohl selbst das nicht ganz legal ist: „Thank you for not dancing“, heißt es auf einem Schild an der Wand. Bloomberg hat in New York auch das Tanzen verboten – in allen Etablissements, die nicht ausdrücklich dafür vorgesehen sind.