Du bist nicht allein

In der Mode geht es grundsätzlich nie darum, dass etwas gebraucht wird oder unmittelbar einen bestimmten Zweck erfüllt: Vom mimetischen Begehren in Mode und Kunst und seinen Tücken

von ISABELLE GRAW

In Berlin strahlt einem neuerdings an jeder Ecke Claudia Schiffer (mit Baby im Arm) für den Quelle-Katalog entgegen: eine Werbung, die – aus gegebenem Anlass – zum Kinderkriegen ermuntert und das muffige Flair dieser Firma in ein modisch-begehrenswertes zu verwandeln versucht. Die Mode, so könnte man sagen, setzt auf ein Begehren, das mimetisch, nachahmend, funktioniert. Denn nach ihren Objekten verlangt es einen nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie Gegenstand des Wunschs von jemand anderem sind. Der Ausdruck „mimetisches Begehren“ verdankt sich dem Anthropologen René Girard, der das Begehren im Allgemeinen als „wesenhaft mimetisch“ definierte: „Es richtet sich nach einem Modell-Wunsch, es erwählt das gleiche Objekt wie dieses Modell.“ Die Rolle dieses „Modells“ spielen in der Mode Models. Es ist ja kein Zufall, dass bekannte Exmodels oder Schauspielerinnen zunehmend als Werbeträgerinnen für die Mode fungieren. Ob nun Cindy Crawford für einen Luxusartikel wirbt und für ihn quasi einsteht oder ob Jerry Hall H&M-Klamotten vorführt und damit neben ihrer Jugendlichkeit auch die Tragbarkeit der Kleidung für jung gebliebene Frauen über vierzig demonstriert – in all diesen Werbungen wird ganz selbstverständlich mit jener hohen Bereitschaft zur Identifizierung gerechnet, die dem mimetischen Begehren Girard zufolge zugrunde liegt. Die Modeindustrie setzt auf das Identifikationspotenzial von Stars und schlachtet es für den Verkauf ihrer Produkte aus; umgekehrt können die Stars durch Werbung ihre (mimetischen) Model-Ambitionen ausleben. Man denke nur an den modelhaften Gesichtsausdruck, den Jennifer Lopez für die Louis-Vuitton-Kampagne angenommen hat – eine Kooperation, in der sich „Jenny from the Block“ dem slicken Image der Marke anzuschmiegen wusste. Es gibt aber auch den Fall, wo sich die Marke – Burberry – die Aura des so exzessiven wie stilvollen britischen Models – Kate Moss – leiht, um einen Image-Update voranzutreiben. Noch der klassischste Burberry-Trenchcoat wirkt nun wie mit Hipness überzogen.

Zweifellos hat das mimetische Begehren in der Mode, die für ihre Autorität ja auf Identifikation und Nachahmung angewiesen ist, seinen bevorzugten Ort – hier wird es angestachelt und immer wieder neu beflügelt. Neuerdings gibt es Modezeitschriften wie Instyle oder Sendungen wie „Trend Up Your Faces“ auf MTV, die sich allein aus diesem Impuls zur Nachahmung speisen. Ihr Konzept besteht darin, den bei ihrem Publikum vorausgesetzten Trieb Futter zu geben, ihm effizient zu begegnen. Instyle zeigt seitenlange Fotostrecken von Stars und nimmt deren Aufmachung genauer in Augenschein. Was sie tragen, gilt hier als per se begehrenswert, ist also ein „Muss“. Die spezielle Serviceleistung dieser Zeitschrift besteht nun darin, dass dieselben Outfits für ihre Leserinnen in erschwinglichen Varianten (etwa von Herstellern wie „Zara“ oder „Gap“) zusammengestellt werden. Daneben gibt es Interviews mit Schauspielerinnen oder Models, die zu ihren Schönheitspraktiken befragt werden. Die von ihnen benutzten Cremes sind ebenfalls de rigeur, was die Schauspielerinnen und Models empfehlen und scheinbar selbst praktizieren, gilt als per se nachahmenswert.

Die Sendung „Trend Up Your Faces“ ist hingegen vor allem ein erschütterndes Dokument für die kulturindustrielle Ausbeutung des mimetischen Begehrens. Hier werden junge Frauen so geschminkt, zurecht gemacht und am Ende auch behandelt wie die von ihnen verehrten Popstars. Man kann ihnen förmlich dabei zusehen, wie sie ihr Spiegelbild verkennen und glauben, sich in ihr Idol verwandelt zu haben. Sie werden vorgeführt und einer Situation ausgeliefert, die ihnen jede Möglichkeit raubt, reflexive Distanz zu ihrem mimetischen Begehren zu gewinnen. Perfide ist außerdem, dass sie für einen gewissen Zeitraum auf Händen getragen und wie ihr Vorbild von einem Staff, zu dem natürlich auch ein „Personal Trainer“ gehört, umsorgt werden. Auf diese Weise verlieren sie sich selbst vollständig aus dem Blick und klammern sich an die Illusion, mit glänzenden Augen und unter den Augen der Öffentlichkeit. „Trend Up Your Faces“ steht für eine Entwicklung, die ich für eher bedenklich halte, weil den Probandinnen im Zuge der Ausschlachtung ihres mimetischen Begehrens nachgerade Gewalt angetan wird. Es macht schließlich einen Unterschied, ob man Entfremdung – jedenfalls teilweise – bewusst erlebt und genießt; oder ob man der Entfremdung machtlos ausgeliefert und dabei unbarmherzig beobachtet wird. Gleichwohl wäre es falsch und ein wenig bevormundend, diese jungen Mädchen, die sich auf das Experiment schließlich eingelassen haben, zum Opfer zu stilisieren.

Festzuhalten bleibt, dass „Trend Up Your Faces“ voyeuristisches Kapital aus dem mimetischen Potenzial der Protagonistinnen schlägt, womöglich auf deren Kosten. Dessen ungeachtet kann eine solche Form der inszenierten Selbstaufgabe natürlich auch als individuell befreiend erlebt werden. Als jemand, der selbst gelegentlich mimetischen Impulsen nachgegeben hat, kann ich hier eine vielleicht aufschlussreiche Stiefel-Geschichte zum Besten geben.

Kürzlich entdeckte ich in einer Boutique ein paar Stiefel meines Lieblingsdesigners Marc Jacobs, die mir aufgrund ihrer Form – eine Synthese aus Achtziger-Jahre-Schaftstiefel und Sixties-Schnallen-Boots – und aufgrund ihrer Lammfellfütterung sehr gut gefielen, die ich aber übertrieben teuer fand und von denen ich mir außerdem sagte, dass ich sie, bei Lichte betrachtet, ja gar nicht brauchte. Damit verfiel ich auf die klassische Strategie des Fashion-Victim, das sich mit rationalen Argumenten selbst zu überlisten versucht, obwohl es im Grunde längst weiß, dass diese nicht verfangen werden, ja gar nicht verfangen können. Denn in der Mode geht es grundsätzlich nie darum, dass etwas „gebraucht“ wird oder unmittelbar einen bestimmten Zweck, etwa den des Warmhaltens, erfüllt. Zwar bedienen sich zahlreiche Verkäuferinnen dieser rationalen Rhetorik („Diese Stiefel sind sehr bequem und unverwüstlich!“), doch insgeheim wissen alle Beteiligten, dass es weder um den Nutzen einer Sache geht noch darum, einen bestimmten Zweck zu erfüllen.

Fashion-Items sind Luxusgüter und zirkulieren als reine Tauschwerte. Darin ähneln sie den Kunstwerken, die ja ihrerseits als reine Tauschwerte auf dem Kunstmarkt zirkulieren und seit den Neunzigerjahren verstärkt wie Luxusgüter konsumiert und im Hinblick auf diesen Status häufig auch produziert werden. Wie die Kunst definiert sich die Mode darüber, dass sie sich ihre Zwecke selbst setzt. Wenn es einen „Zweck“ der von mir heiß begehrten Stiefel gab, dann den, dass sie modisch waren. Und modisch ist ein Item dann, wenn andere es ebenfalls als modisch empfinden. Somit könnte man die Mode definieren als Übereinkunft darüber, was – für einen Augenblick, für eine Saison – als begehrenswert erscheint oder empfunden wird. Wer sich der Mode verschreibt, unterwirft sich sozusagen dem Begehren der anderen.

Aber zurück zu meiner Stiefelgeschichte, die die Funktionsweise des mimetischen Begehrens aufs Schönste illustriert. Nachdem ich mir diese Stiefel sozusagen abgeschminkt hatte, begegnete ich ihnen wieder. Dieses Mal war es eine Frau, die irgendwie cool anmutete und an deren Füßen ich besagte Stiefel erblickte. Jetzt musste ich sie unbedingt haben. Ich geriet förmlich außer Rand und Band und begann wie ferngesteuert herumzutelefonieren, um dieser Stiefel in meiner Größe habhaft zu werden. Gegen diesen Sog, von dem ich ergriffen wurde, war mit rationalen Argumenten nichts auszurichten. Ich handelte gleichsam automatisch, von einem Begehren getrieben, das mir befahl, diese Stiefel ebenfalls zu tragen. Nicht weil ich so sein wollte wie diese Frau – weit gefehlt. So bruchlos funktioniert mimetisches Begehren nicht. Es war vielmehr so, dass ich von diesem Bild der die Stiefel tragenden Frau geradezu verfolgt und dazu angestachelt wurde, mich nun meinerseits leidenschaftlich auf die Stiefel zu fixieren. Dabei beobachtete ich mich selbst, was den Spaß noch erhöhte.

Bei alledem ist natürlich auch soziale Rivalität im Spiel, nur wäre es verkürzt, den mimetischen Wunsch nur als Ausdruck eines Konkurrenzverhältnisses zu betrachten, wie von Girard vorgeschlagen: „Die mimetische Tendenz macht aus dem Wunsch eine Kopie eines anderen Wunsches und läuft zwangsläufig auf Rivalität hinaus.“ Gegen diese martialische Sicht spricht schon der mimetischen Wunsch des Fans, der sich eher durch Großzügigkeit und Wohlwollen auszeichnet. Der – sagen wir – Kylie-Minogue- Fan will ja keineswegs an die Stelle seines Idols treten, freut sich vielmehr mit und gönnt ihr den Erfolg. In dem mimetischen Wunsch nach einem Kleidungsstück, das von einem Model getragen wird, schwingt indes tatsächlich Rivalität mit – nur ist dieses Konkurrenzverhältnis keines zum Vorbild, dem man nacheifert, sondern ein eher latent bleibendes zu den Freundinnen und all den anderen Frauen, denen gegenüber man einen Vorsprung in Sachen Fashion gewinnt, wenn man sich auf diese Weise kleidet.

Was ist jedoch mit all jenen, die sich dem Sog der Mimesis entziehen oder verweigern? Die „No Logo“ gelesen haben und einige Marken aufgrund ihrer Sweatshop-Praktiken ablehnen? Oder jene radikalen Individualisten, die ihre Kleider selbst zusammenstellen und sich immun gegenüber den Imperativen der Mode zeigen? Auch diese scheinbar eigenständigen Praktiken bleiben meiner Ansicht nach der mimetischen Struktur des Begehrens verhaftet. Selbst Madonna hat ja kürzlich behauptet, dass sie sich für Mode nicht mehr interessiere. Es ist mithin modern, die Mode abzulehnen, und wer die Mode verwirft, bleibt in das mimetische Begehren eingespannt. Eine Situation, auf die die Modezeitschriften schon längst reagiert haben, indem beispielsweise Models in Second-Hand-Klamotten aus ihrer „eigenen Sammlung“ fotografiert werden. Bestimmte Labels wie Prada oder Gucci sind mittlerweile selbst unter Modeanhänger/innen verschrien – man begehrt keine Sachen mehr, die durch ein teures Label gewissermaßen übermarkiert sind.

Dass das mimetische Begehren auch für die Verwerfung der Mode bestimmend bleibt, lässt sich besonders gut anhand der derzeit heiß begehrten „Ugg- Boots“ zeigen. Es handelt sich um flache, veritable Treter aus weichem Wildleder, die in Australien hergestellt werden und der Legende zufolge ursprünglich den Surfern zum Zehenwärmen dienten. Mittlerweile werden sie, weil sie so „ugly“ sind, von zahlreichen Models getragen. Gerade das Unförmige dieser Stiefel, die aus der Mode gänzlich herauszufallen scheinen, ließ sie zum absoluten Musts werden. Seit Wochen gibt es Lieferungsprobleme, bei eBay werden die letzten Exemplare zu horrenden Preisen gehandelt. Ich gestehe hiermit, schon kurz davor gewesen zu sein mitzubieten. Gegen das mimetische Begehren ist scheinbar kein Kraut gewachsen.