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: Kommissar Brodersen kann nicht kochen. Berlin als Schauplatz des Schreckens

Die besten Krimis schreibt das Leben, so lautet ein journalistischer Standardsatz. Wenn man sich das eigene Leben und das Leben anderer Leute so anguckt, mag man es aber nicht recht glauben. Das ist so öd. Krimis dagegen sind spannend. Die meisten von ihnen zumindest.

So beispielsweise der Krimi „Die dünne Linie“ von Mathias Christiansen. Im Kriminalgericht Moabit wird ein Staatsanwalt ermordet. „Er bemerkte noch, dass die Nachtbeleuchtung erloschen war. Dann traf ihn etwas am Hinterkopf. Alles wurde schwarz. Als er auf dem harten Steinfußboden aufschlug, war er bereits tot.“ Ein einfacher Raubmord kann es nicht gewesen sein, denn dem Staatsanwalt fehlt die Zunge. Sie wird einem Dorfwirt im Sächsischen per Post zugestellt. Der Fall also ist kompliziert. Ein Mord unter Kollegen? Was weiß der Wirt?

Der Krimiplot, der nun folgt, ist der übliche, man wird auf falsche Fährten gelockt, hier knallt es und dort gibt es noch einen Toten. Und, obschon die Dialoge eher hölzern sind und einige Effekte sowie auch die Auflösung des Falles etwas sehr platt, macht dieser Berlin-Krimi einiges Vergnügen. Denn mit dem grummeligen Kriminalhauptkommissar Brodersen hat Mathias Christiansen eine durchaus klassische Detektivfigur erfunden – sie ist schlunzig, hat Alltagsprobleme, die sie nicht bewältigt kriegt, und sie ist gewissermaßen so wie die Leser.

Brodersen vermisst seine Frau, ist krank, hat Schulden, und Brodersen kann nicht kochen. Die ihm Untergebenen machen auch nicht immer alles richtig. Außerdem verliebt sich Brodersen ein bisschen, ein bisschen nur, und es gibt kein Happy End. Für die U-Bahn-Lektüre ist „Die dünne Linie“ also genau das richtige Buch, nicht kompliziert, nicht schlau, nicht aufregend, doch genau auf die richtige Weise anregend.

Ungern dagegen liest man in dem Buch mit dem arg reißerischen Titel „Der Feind in meinem Haus“ von Bernd Udo Schwenzfeier. Der frühere Kriminalist Schwenzfeier nämlich hat „authentische Kriminalfälle“ aus Berlin zu bieten, in denen es nur ein vermeintliches Happy End gibt, wenn der Täter gefasst wird. Denn die Opfer sind nicht bloß Erfindungen auf dem Papier. Die Fälle wirken bestürzend: Sei es nun der triebgestörte Mädchenmörder, aus dessen Vernehmungsprotokollen Schwenzfeier zitiert, sei es der missratene Sohn, der seine Eltern tötet, sei es der Massenvergewaltiger, dessen Taten der Autor beschreibt. Der Autor hat sich für eine merkwürdige Form entschieden, nämlich für die halbfiktionale Nacherzählung.

Schwenzfeier, durch jahrelange Erfahrung mit seinen Sujets vertraut, will offensichtlich eine Lanze für die Polizeiarbeit brechen. Doch er schafft es nicht, bei aller Einfühlung in die Täter und die kriminalistischen Kollegen, den Protokollstil zu überwinden; auch kann er nicht recht an sich halten, wenn es um die Beschreibung der Taten geht, sodass man en detail lesen muss, wie der Massenvergewaltiger sich an seinen Opfern sexuell vergriff. Andeutungen waren für den Autor offensichtlich nicht genug.

So aber präsentiert er seinen Lesern die „authentischen Kriminalfälle“ allzu effekthascherisch – dem literarischen Schausteller Schwenzfeier, der sich auch noch in seine Figuren (Täter, Opfer und Polizisten) hineinimaginiert, geht es vor allem um möglichst spannungsreiche Darstellung. Die Tat wird zum Ausstellungsstück. Da sind einem erfundene Plots, und seien sie noch so ungelenk, wesentlich lieber.

JÖRG SUNDERMEIER

Mathias Christiansen: „Die dünne Linie“. KBV-Krimi, Hillesheim 2003, 202 Seiten, 8,90 €. Bernd Udo Schwenzfeier: „Der Feind in meinem Haus“. Militzke Verlag, Leipzig 2003, 190 Seiten, 14,80 €