Rolf Hochhuth sucht den Skandal
: Terror und Marketing

Rolf Hochhuth lässt Bankchef Josef Ackermann als mögliches Attentatsopfer auftreten. Doch der inszenierte Tabubruch wertet seine Kunst nicht auf.

Der Skandal war perfekt terminiert. Seit gestern steht Deutschlands mächtigster Bankier vor Gericht, und pünktlich zum Prozessauftakt wurde neben dem juristischen auch ein literarischer Tiefschlag gegen Josef Ackermann publik. Urheber ist der Publizist Rolf Hochhuth, in dessen neustem Stück der Vorstandschef der Deutschen Bank als mögliches Opfer eines Attentats auftritt.

Das Drama „McKinsey kommt“ enthält ein Sonett, das sich mit der Rolle Ackermanns befasst. Es endet mit dem Dreizeiler: „Die FAZ lehrt A’s rechtlose Opfer als ‚Umbau‘ zu tarnen!/‚Tritt‘ A. nur ‚zurück‘ wie Geßler durch – Tell?/Schleyer, Ponto Herrhausen warnen.“ Der Schweizer Wilhelm Tell tötete bekanntlich den tyrannischen Habsburger Landvogt Geßler, die die drei genannten Wirtschaftsführer fielen der „Roten Armee Fraktion“ zum Opfer.

Hochhuth selbst bestritt gestern den Vorwurf, er habe Verständnis für einen Anschlag auf Ackermann geäußert. Weitere Interpretationshilfen mochte er indes nicht geben, weil die Deutsche Bank bereits mit juristischen Schritten droht. Es wäre freilich nicht das erste Mal, dass der Autor mit Terror gegen deutsche Wirtschaftskapitäne kokettiert. Bereits vor mehr als zehn Jahren thematisierte er in seinem Stück „Wessis in Weimar“ die Rolle von Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder und sagte im Vorfeld der Premiere: „Wer so etwas wie Rohwedder tut, soll sich nicht wundern, wenn er erschossen wird.“

Im Unterschied zu Rohwedder ist Ackermann freilich noch am Leben, Hochhuths Attacken könnten diesmal gar als Leitfaden für praktisches Handeln verstanden werden. Offenbar steigert sich der einst gefeierte Schriftsteller in immer radikalere Fantasien, je stiller es um ihn wird. Die regelmäßig wiederkehrenden Skandale werfen grelle Schlaglichter auf das tragische Schicksal eines Mannes, der sich mit vergangenem Ruhm nicht begnügen will und vergeblich um aktuelle Anerkennung buhlt.

Einen Verbündeten fand Hochhuth im gleichfalls krisenerprobten Theater der Stadt Brandenburg, das mit der Uraufführung des neuen Stücks erneut nach dem rettenden Tabubruch greift. Bereits im Jahr 2000 zeigte es das Werk eines rechtsradikalen Autors aus Japan, Titel: „Mein Freund Hitler“.

Der Höhepunkt der Hochhuth’schen Karriere liegt bereits vierzig Jahre zurück, als er in seinem 1963 uraufgeführten Stück „Der Stellvertreter“ die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus erstmals zum Thema machte. Fünfzehn Jahre später enthüllte er die NS-Vergangenheit des Stuttgarter Ministerpräsidenten Hans Filbinger, der „furchtbare Jurist“ musste seinen Hut nehmen.

Das literarische Niveau der Hochhuth-Stücke blieb schon damals weit hinter ihrem politischen Gehalt zurück. Der Autor, der seine Werke stets aus Originaldokumenten collagierte, steht für ein Studienratstheater der penetranten Art. Aufführungen des „Stellvertreters“ suchte er zuletzt zu erzwingen, indem er sich die Eigentumsrechte am Grundstück des Berliner Ensembles verschaffte. Mit Erfolg: Intendant Claus Peymann sicherte dem Dramatiker zu, das Stück in seinen angestaubten Spielplan aufzunehmen.

Hochhuth selbst sieht die fehlende Anerkennung jedoch nicht als Zeichen eigener Schwäche, sondern als Preis für seine Radikalität – ganz nach dem Vorbild Wilhelm Tells, dem er in seinem neuen Stück den Schuss auf Ackermann nahe legt. Vielleicht wäre es klüger gewesen, er hätte diesmal auf den Apfel der Erkenntnis gezielt. RALPH BOLLMANN