BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE
: Eine unabhängige Lichtquelle

Können Frauen Loser lieben? Die Arbeitslosenstatistik sagt: Ja. Aber nur mit Kopflampe

Als ich noch ein kleines Mädchen war, erzählte mir Großonkel Walter die Geschichte von den Offizieren in ihren schmucken Uniformen, denen die Frauen zujubelten, als sie in den Zweiten Weltkrieg zogen. Es waren dieselben Männer, die ausgemergelt und zerlumpt zurückkehrten und die Enttäuschung, manchmal sogar den Ekel in den Augen der Frauen ertragen mussten. „Der Krieg hat manche Liebe zerstört“, sagte Onkel Walter damals, „und niemand war darauf vorbereitet.“ Ich war beeindruckt.

„Ihr seid es doch, ihr Frauen, die den Leistungsdruck machen“, meint Kollege F. und reißt mich aus meinen Erinnerungen, „am Ende interessieren sich die Frauen doch immer nur für die Alphatiere, die Sieger.“ Wir sind auf der Party von G. in ein empirisches Gespräch geraten. F. ist Autor und plant ein Buch zum Neuen Elend der Männer.

Die neueste Jobstatistik zum Beispiel: Männer leiden mehr unter dem Stellenabbau als Frauen. Oder die Schulstatistiken: In den Gymnasien sind die Jungs in der Minderheit.

„Der Partnerschaftsmarkt stützt das Leistungssystem“, fährt F. fort, „und die Frauen machen mit.“ F.s letztes Sachbuch hat sich nur mäßig verkauft und seine jüngste Bewerbung als Gesellschaftsredakteur bei einer Zeitung ist gescheitert. Er ist bestimmt 15 Jahre jünger als ich. Diese modernen dünnen Kinnbärte. Ich ertappe mich bei der Frage, ob ich F. eigentlich sexy finde. Finden könnte. Rein theoretisch.

Aber das ist nicht ganz das Thema.

„Vielleicht ist es nur ein Rollenproblem“, sage ich, „die Erotik hängt an der Idealisierung, und wenn die nicht funktioniert, fehlt auch der Sex.“ Was rede ich für einen Schwachsinn. Dabei ist mir die Sache mit Kai noch heute in Erinnerung. Und die war komplizierter.

Ich war 16 Jahre alt, Kai ging in die Parallelklasse. Ich war eine magere hysterische Schnellsprecherin, er war superklug, stotterte aber manchmal ein bisschen. Wir hatten das gleiche Problem, nämlich den eigenen reißenden Gedankenfluss unter Kontrolle zu bringen. Wir spazierten nachts stundenlang um den Baggersee und redeten. Über die Welt legte sich eine wärmende Hülle. Bald sprach ich langsamer. Er stotterte nicht mehr, jedenfalls nicht mit mir. „Ich habe gehört, du gehst mit Kai“, hatte Gaby eines Tages geflötet und das Gesicht verzogen, „also der ist doch so komisch.“ „Nee, wir sind nicht richtig zusammen“, hatte ich gelogen.

Frauen sind ja keine besseren Menschen.

F. hat sich in Schwung geredet: „Vier Millionen Arbeitslose! Da braucht es doch auch die Solidarität zwischen Männern und Frauen. In den USA reichen die Frauen die Scheidung ein, wenn die Männer ihren Job verlieren.“ F. hat schöne graue Augen, fällt mir auf. Sein Thema ist ja eigentlich ungewöhnlich für einen Mann. Meistens sind doch die Kolleginnen die Sozialtanten. Hat F. vielleicht ein Problem mit der ganzen Leistungskiste? Thomas zum Beispiel hätte darüber nie so geredet.

Thomas hatte von einer Hochschulkarriere geträumt. Doch sein Professor hatte ihm die Erstanstellung verweigert und eine Doktorandin vorgezogen. Als ich ihn am Abend nach dieser Entscheidung besuchte, öffnete er mir, sturzbetrunken. Die Wohnung lag im Dunkeln. Er hatte in rasender Wut alle Glühbirnen zerschmettert. Im Schein einer batteriebetriebenen Petzl-Kopflampe kehrte ich später die Scherben zusammen und kam zu dem Schluss, dass man immer eine unabhängige Lichtquelle im Haus haben sollte. Für alle Fälle.

„In jedem Helden steckt ein Loser“, erkläre ich F., „ist nur eine Frage der Zeit.“ Ich geniale Dialektikerin, ich. Das zweite Glas Wein beginnt zu wirken. Eigentlich finde ich F. ziemlich süß. Ist bestimmt ein spannender Typ, wenn er diesen Theoriekram mal lässt. Ich muss aufpassen, nicht wieder zu schnell zu reden. Intellektuelle Frauen machen Männern Angst, habe ich neulich mal wieder gelesen. „Auch Frauen wollen nicht scheitern“, sage ich zu F. Und ich steige jetzt besser auf Mineralwasser um. Und ein anderes Thema.

Sicher ist sicher.

Fragen zu Losern? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN