Jahrhundertreform wird reformiert – und gerupft

Das Betreuungsgesetz ist den Ländern zu teuer. Die rechtliche Betreuung Alter und Kranker soll daher vermieden oder billiger werden

FREIBURG taz ■ Alle sprachen von einer „Jahrhundertreform“, als das Betreuungsgesetz 1992 in Kraft trat. Es sollte die größtmögliche Selbstbestimmung von geistig und psychisch Kranken sowie altersdementen Menschen sichern. Doch das Gesetz wurde von der Bevölkerung so gut angenommen, dass es jetzt zu teuer geworden ist. Demnächst wird der Bundestag eine Änderung beschließen, um die aufwändige Betreuung einzuschränken. Auch das soll angeblich die Selbstbestimmung der Betroffenen fördern. Beim Betreuungsgesetz geht es nicht um Hilfe im Alltag, etwa beim Kochen oder Einkaufen, sondern ausschließlich um rechtliche Betreuung, also um die Vermögensverwaltung oder um Entscheidungen über medizinische Maßnahmen und Heimaufenthalte. Derzeit werden über eine Million Menschen in Deutschland in diesem Sinne betreut: Unfallopfer mit einer Hirnschädigung, Altersverwirrte, Drogenabhängige, Schizophrene und viele andere, die ihre rechtlichen Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst besorgen können.

Bis 1992 wurden solche Menschen entmündigt, das heißt, sie verloren ihre bürgerliche Existenz, durften nicht mehr wählen, heiraten, vererben oder Verträge schließen. Rechtlich galten Entmündigte so viel wie kleine Kinder. Heute dagegen wird vom Vormundschaftsgericht ein Betreuer bestellt, der versuchen soll, die Wünsche des Betreuten herauszufinden und in seinem Sinne zu handeln.

In drei Vierteln aller Fälle sind die Betreuer ehrenamtlich tätig, meist sind es die nächsten Angehörigen. Sie erhalten nur eine kleine Aufwandsentschädigung in Höhe von jährlich 312 Euro. Wo Verwandte fehlen oder sich nicht engagieren wollen, werden Berufsbetreuer bestellt, die pro Stunde bis zu 31 Euro abrechnen können. Etwa 9.000 solcher Berufsbetreuer gibt es inzwischen, und vor allem sie machen das Gesetz teuer. Die Kosten werden zwar aus dem Vermögen des Betreuten finanziert, wenn dieser aber mittellos ist, zahlt der Staat.

Die Länder sprechen sogar von einer „Kostenexplosion“. Zahlen aus Nordrhein-Westfalen belegen diese. Nach zaghaftem Start gab das Land 1992 umgerechnet 1,3 Millionen Euro für Betreuungskosten aus. 1995 war das Gesetz dann etabliert, da waren es schon 26 Millionen Euro. Doch seither haben sich die Ausgaben noch einmal vervierfacht, auf 104 Millionen Euro im Jahr 2002.

Die Länder wollen dem jetzt gegensteuern. Eine 2001 eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat einen Gesetzentwurf erarbeitet, den der Bundesrat nun in den Bundestag einbringt. Offiziell geht es dabei nicht ums Sparen, sondern um eine Stärkung der Selbstbestimmung des Betroffenen. Letztlich werde auch die Betreuung von den Betroffenen noch als eine Art Bevormundung wahrgenommen, weshalb andere (zufällig auch billigere) Formen der rechtlichen Fürsorge gefördert werden sollen.

Im Vordergrund steht die Vorsorgevollmacht, die jeder erstellen kann, solange er sich noch geistig fit fühlt. Dort ist beschrieben, welche Vertrauensperson als Vertreter die finanziellen und persönlichen Dinge für den Betroffenen regeln kann. Die Behörden sollen künftig solche Vollmachten beglaubigen, damit diese im Geschäftsleben auch anerkannt werden. Vorteil für den Staat: ein Bevollmächtigter bekommt keine Aufwandsentschädigung. Vorteil für nahe Angehörige: Als Bevollmächtigte müssen sie nicht ständig mit dem Vormundschaftsgericht verhandeln.

Außerdem soll gesetzlich festgeschrieben werden, dass ein Ehegatte seinen kranken Partner künftig automatisch vertreten kann. Vorausgesetzt, es liegt ein ärztliches Gutachten vor, dass dieser „handlungsunfähig“ ist, und es besteht keine anders lautende Vollmacht. Außerdem soll die Regelung bei getrennt lebenden Paaren nicht gelten. Auch hier wird elegant am Betreuungsbedarf gespart. Allerdings sollen die Ehegatten im Rahmen der Vermögensverwaltung nur auf maximal 3.000 Euro pro Monat Zugriff haben.

Wo es keine Vollmacht und auch keine nahen Verwandten gibt, werden auch künftig in der Regel Berufsbetreuer bestellt. Doch diese sollen dann pauschal bezahlt werden. So sinkt der bisher gewaltige Abrechnungs- und Kontrollaufwand. Die Betreuer und das Vormundschaftsgericht können die gewonnene Zeit dann für die Betreuten einsetzen. Damit der Berufsbetreuer sich nicht vorschnell um eine Heimeinweisung bemüht, wird die Betreuung von zu Hause Lebenden besser bezahlt. Dies dürfte wohl auch im Sinne der Betreuten sein. CHRISTIAN RATH