„Kopftuch ist wie gelber Stern“

INTERVIEW DOROTHEA HAHN

taz: Wann hatten Sie zum ersten Mal ein Kopftuch auf?

Chahdortt Djavann: Mit 13 Jahren musste ich mich verschleiern. Wie jede Frau im Iran.

Gab es damals eine Diskussion in Ihrer Familie?

Das ist keine Angelegenheit der Eltern. Unverschleiert auf die Straße zu gehen – das ist der Tod. Es gab ein paar Demonstrationen von Frauen. Aber die waren sehr schnell zu Ende. Das Land führte Krieg gegen den Irak. Vor dem Hintergrund erschien das zweitrangig.

Was haben Sie damals empfunden?

Ich habe mich geschändet und erniedrigt gefühlt. Und ich hatte viele Fragen: Warum muss ich meine Haare vor dem Blick der Männer verstecken? Was ist schuld an den Haaren einer Frau? Warum müssen Männer ihre Haare nicht verstecken?

Wie erklären Sie, dass immer mehr junge Musliminnen in Europa ein Kopftuch tragen?

Seit 20 Jahren findet im Westen eine islamistische Offensive statt. Ganz besonders in Europa. In den 60er- und 70er-Jahren haben die muslimischen Mädchen kein Kopftuch getragen. Was wir heute sehen, ist das Resultat der Tätigkeit der Islamisten.

Spielt die soziale Ausgrenzung der Einwanderer ihnen in die Hände?

Natürlich gibt es soziale Ungerechtigkeiten. Wenn jemand Mustafa heißt und arbeitslos ist, hat er schwere Probleme. Aber die werden nicht leichter dadurch, dass seine Frau verschleiert ist. Man muss jene unterstützen, die sich gegen den Islamismus schlagen. Gerade weil Deutschland und Frankreich die Einwanderer im Stich gelassen haben, sind sie von den Islamisten angesprochen worden. Die Islamisten haben ihnen gesagt: Ihr werdet nie Chancengleichheit bekommen. Kehrt besser zu einem religiösen Leben zurück, zu den Dogmen, schließt euch ein, grenzt euch ab.

Wenn man Sie hört, könnte man meinen, dass die Islamisten bereits großen Einfluss haben.

Den haben sie. Und das gilt sowohl für Frankreich als auch für Deutschland und für Großbritannien. Hätte man vor 15 Jahren reagiert, wäre die Situation heute anders. Stattdessen hat man getarnte und gefährliche Islamisten wie Tarik Ramadan [Islamologe aus Genf, der die Verbindung zwischen Islam und Globalisierungskritikern sucht; d. Red.] und viele andere gewähren lassen.

Die jungen Mädchen sagen, das Kopftuch sei ihre Wahl.

Am Anfang haben sie etwas ganz anderes gesagt. Nämlich: „Meine Religion ist meine Kultur.“ Als sie gemerkt haben, dass das schlecht ankam, weil es ein rein religiöses Argument ist, haben sie sich etwas anderes ausgedacht. Jetzt sagen sie: „Das ist meine Wahl.“ Aber keine dieser Frauen ist in der Lage, zu erklären, warum die Frau ihre Haare vor den Blicken der Männern verstecken soll. Ihre Demonstrationen sind von Männern eskortiert. Ohne deren Erlaubnis dürfen die Frauen nicht sprechen.

Trotzdem: Es gibt junge, verschleierte Frauen, die versichern, dass niemand Druck auf sie ausübt.

Eine Unterwerfung wird nicht besser dadurch, dass sie freiwillig geschieht. Im Iran werden Frauen gesteinigt. Unter jenen, die die Steine werfen, sind auch Frauen.

Ist so viel Aufregung über ein religiöses Symbol gerechtfertigt?

Das Kopftuch ist eben nicht das Symbol des muslimischen Glaubens. Wer die religiösen Texte anschaut, stellt fest, dass auch im Alten Testament den Frauen zum Kopftuch geraten wird, genau wie im neuen Testament und wie im Koran. Bei der Frauenunterdrückung ist der Islam den beiden vorausgegangenen monotheistischen Religionen treu geblieben. In den westlichen Ländern gibt es heute eine Demokratie, die auf der Geschlechtergleichheit basiert. Das Kopftuch aber ist das Symbol der Unterordnung der Frauen unter die Männer. Es geht nicht um die Unterordnung unter Gott. Wenn die Frauen unter sich sind, nehmen sie das Kopftuch ab. Sie tragen es nur vor Männern. Es ist das Symbol der Minderwertigkeit der Frauen. Das müssen alle wissen, die sich für die Gleichheit geschlagen haben.

Wie definieren Sie das Kopftuch?

Ich vergleiche es mit dem gelben Stern. Es ist das Symbol, das die Frau im rechtlosen Raum einordnet. Und das alle Gewalt autorisiert. Das Kopftuch zeigt: Die Frauen sind das minderwertige, erniedrigte Geschlecht.

Sie kämpfen also als Frauenrechtlerin dagegen?

Ich bin keine Feministin. Mir geht es um die Menschenrechte. In den demokratischen Ländern gibt es heute das Delikt Pädophilie. Man muss wissen, dass in den muslimischen Ländern ein Mädchen verschleiert wird, wenn es als heiratsfähig gilt. Wenn ein 12-jähriges Mädchen als „heiratsfähig“ behandelt wird, ist das Pädophilie. Das Kopftuch ist eine Misshandlung von Minderjährigen. Wie die Beschneidung. Auch da hat es lange gedauert, bis sie in den demokratischen Ländern verboten wurde. Und auch da wurde im Namen des kulturellen Rechtes argumentiert.

Die Klitorisbeschneidung ist eine körperliche Verstümmelung. Das Kopftuch ist ein Kleidungsstück.

Es ist eben kein Kleidungsstück. Wenn man ein Mädchen verschleiert, sagt man ihm: Du bleibst zu Hause, du hast nicht dieselben Rechte wie dein Bruder. Das hinterlässt unauslöschbare Spuren in der Psyche, der Sexualität und der sozialen Identität.

Möglicherweise ist das anders bei Mädchen, die selber entscheiden.

Das ist Demagogie. Im Krieg zwischen Iran und Irak sind kleine Mädchen und Jungen freiwillig auf Minen gesprungen. Sie waren von Islamisten dazu gebracht worden. „Das ist meine Wahl“, sagten diese Kinder.

Wird das Symbol nicht dadurch aufgewertet, dass sich jetzt sogar Staatschefs in Europa damit befassen?

Es kann kein islamistisches System ohne das islamische Kopftuch geben. Aber es kann einen Islam ohne das islamische Kopftuch geben. Stellen Sie sich vor, dass die Frauen in Saudi-Arabien oder im Iran ihren Schleier abnehmen. In dem Moment werden sie als menschliche Wesen betrachtet, und es gibt kein islamistisches System mehr.

Sie stimmen dem gesetzlichen Verbot von Kopftüchern in der Schule zu, das Präsident Chirac vorgeschlagen hat. Wollen Sie so ein Verbot auch in Deutschland?

Früher oder später werden Sie nicht darum herumkommen. Jetzt fordert der Iran Frankreich auf, das Gesetz zurückzuziehen. Der Iran ist ein Land, das eine Million Oppositionelle ermordet hat und das steinigt. Dieses Land wagt es, im Namen der Demokratie zu sprechen. Das zeigt, wie eng die Verbindung zwischen Islamismus und Kopftuch ist.

In unseren Ländern ist der Islam aber nicht Mehrheitsreligion. Die Gefahr, dass muslimische Regeln zum Diktat für alle werden, besteht nicht.

Die Islamisten nutzen geschickt die Laxheit in Europa und das aus der Geschichte herrührende schlechten Gewisse – das u. a. aus dem französisch-algerischen Krieg und aus dem Nationalsozialismus resultiert – aus. Wer den Islam kritisiert oder die Barbarei einer totalitären Religion, wird von ihnen als „islamophob“ eingestuft. Oder als Rassist. Aber gerade ein Land wie Deutschland hat eine enorme Verantwortung. Die Laxheit der Deutschen hat den Islamismus in der Türkei gestärkt.

Sie schätzen den deutschen Einfluss auf die Türkei hoch ein.

Ich habe in Istanbul gelebt. Und ich kann Ihnen sagen, die Islamisten haben verstanden, dass sie sowohl im Innern als auch im Äußeren ihrer Länder aktiv werden müssen. Sie sind Missionare. Sie wollen einen weltweiten Islamismus organisieren. Das Kopftuch ist das Emblem des islamistischen Systems. Weil es sich in Frankreich und in Deutschland ausbreiten konnte, ist das auch in der Türkei und in Nordafrika möglich.

Sie meinen, dass es eine diplomatische Verpflichtung gibt, das Kopftuch zu verbieten. Kopftuchverbot als Außenpolitik?

Auch als Innenpolitik. Denn es gibt in Europa Mädchen, die Opfer der islamistischen Gewalt sind. Da werden Mädchen angegriffen, weil sie sich nicht so verhalten, wie die Islamisten es anständig finden. Es gibt junge Mädchen, die als „Nutten“ beschimpft werden, weil sie kein Kopftuch tragen. Ein Mädchen ist sogar verbrannt worden. Hier in Frankreich.

Mit welcher Berechtigung kann eine demokratische Gesellschaft ein Symbol verbieten?

Eine demokratische Gesellschaft fixiert die individuellen Freiheiten, aber auch ihre Grenzen.

Darf sie dann auch andere Symbole an der Schule verbieten? Zum Beispiel das Palästinensertuch?

Das ist eine Meinung. Darüber kann man diskutieren. Aber es gibt Ideologien, über die es nichts zu diskutieren gibt. Dazu gehört der Faschismus. Und dazu gehört auch der islamische Fundamentalismus. NS-Symbole sind doch auch verboten.

Viele finden es intolerant, das Kopftuch zu verbieten.

Das hat nichts mit Toleranz zu tun. Das ist Ignoranz.

Ist es sinnvoll, allein mit Repression gegen das Kopftuch vorzugehen?

Ich bin nicht gegen Pädagogik. Zuerst muss man auf die Familie setzen. Erst wenn das nicht weiterhilft, muss man auf das Gesetz zurückgreifen. Der Staat muss die Kinder schützen. Das ist seine Aufgabe.

Im Augenblick sorgt das Verbot für eine Radikalisierung eines Teils der Jugendlichen.

Sie sind schon radikalisiert. Es gibt nur Politiker, die das nicht wahrhaben wollen. Die Mehrheit der muslimischen Frauen will kein Kopftuch tragen, und sie will nicht mit diesem Symbol der Entfremdung verwechselt werden. Leider berichten die Journalisten nicht darüber. Ich habe in Frankreich Schülerinnen getroffen, die ihre Lehrer anflehen: „Bitte lasst das Kopftuch nicht an die Schule. Wenn ihr es erlaubt, werden unsere Eltern es auch uns aufzwingen.“ Die echten Islamisten sind Faschisten. Mit ihnen haben wir in 20 Jahren keine Demokratie mehr. Dieser harte islamistische Kern muss eliminiert werden.

Da gehen Sie aber weit.

Der Islamismus ist keine Überzeugung, Madame.

Was ist der Islamismus?

Die Anwendung der islamischen Dogmen auf das soziale, politische und individuelle Leben aller Bürger. Das ist ein totalitäres System. Heute haben Sie einen Tee mit einem Mann in einem Café getrunken. Morgen können Sie gesteinigt werden.

Was sagen Sie den jungen Frauen, die für das Recht auf Kopftuchtragen demonstrieren?

Manche sind von Islamisten manipuliert worden. Darunter auch solche, die studiert haben. Ihre Eltern sind in dieser Gesellschaft erniedrigt und durch den Dreck gezogen worden. Ich möchte ihnen zurufen: „Sagt nie mehr: Das ist ein anderer Schleier. Das ist nicht derselbe.“ Das stimmt nicht. Es ist auf der ganzen Welt derselbe Schleier.