„Rot-Grün geht dem Konflikt mit der Agrarlobby aus dem Weg“, sagt Thilo Bode

Renate Künasts Wende in Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist auf halbem Weg gescheitert

taz: Antibiotika in Shrimps, BSE-Schlampereien beim Rindfleisch – wie steht es um die Qualität unserer Nahrungsmittel, Herr Bode?

Thilo Bode: Das kommt darauf an, wie man Qualität definiert. Etwa nach Aussehen, Geschmack, Vielfalt oder Sicherheit. Was die Hygiene angeht, gibt es große Verbesserungen. Denken Sie nur an das Trinkwasser im 19. Jahrhundert. Heute gibt es aber neue Gefahren wie die Rinderseuche BSE – verursacht durch die moderne Tierhaltung. Oder wir finden Gifte, die bisher unbekannt waren. Bei der Sicherheit gibt es eben keine eindeutig positive oder negative Entwicklung. Außerdem gibt es Risiken, denen der Verbraucher durch klugen Kauf ausweichen kann oder eben nicht. BSE gehört zu Letzterem.

Immerhin sind die Lücken bei BSE-Tests oder das Acrylamid in Lebkuchen aufgefallen. Kontrollen sind da. Ist der Rest Panikmache?

Nein. Bei BSE geht es um wirkliche Gesundheitsrisiken. Dort wurde die Gefahr aber systematisch heruntergespielt. Bei anderen Stoffen ist die Gefahr zwar noch nicht erwiesen. Doch sollten die Leute da zumindest die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, ob sie das Zeug essen oder nicht. Bei dem krebsverdächtigen Acrylamid haben sie diese Wahl nicht, weil die Regierung den Hersteller nicht vorschreibt, den Gehalt auf der Verpackung anzugeben.

Rot-Grün hat beim Verbraucherschutz versagt?

Ja, Rot-Grün handelt derzeit nach dem Motto: keine Zumutungen. Die Acrylamidkennzeichnung könnte die Regierung anordnen. Und nach dem Nitrofen-Skandal, bei dem Futtermittel mit verbotenen Pestiziden belastet waren, hat die Regierung großspurig angekündigt, dass die Schuldigen bestraft werden sollen. Nichts ist geschehen. Auch das Gerede um die kriminellen Energien beim jüngsten BSE-Skandal ist recht verlogen. Denn die Schuldigen können gar nicht wie Kriminelle zur Rechenschaft gezogen werden. Dazu fehlen die gesetzlichen Grundlagen.

Was muss dann geschehen?

Wir brauchen mehr Transparenz und Information. Müssen alle den Gehalt an Acrylamid angeben, setzt ein Wettbewerb um den geringsten Belastungswert ein. Das Verbraucherinformationsgesetz muss kommen. Alle großen Lebensmittelskandale der jüngsten Vergangenheit waren übrigens Futtermittelskandale. 1985 musste noch auf jedem Futtermittelsack draufstehen, was drin ist. Diese Vorschrift gibt es nicht mehr, weil die EU den Handel erleichtern wollte. Deshalb sind Futtermittel heute zu oft Abfalldeponien. Das muss anders werden.

Warum tut sich Berlin damit so schwer?

Das hängt mit der Stärke der Agrarlobby und der Lage der Regierung zusammen. Noch eine Front, an der sie sich mit der Lebensmittelindustrie und der konventionellen Landwirtschaft anlegt, kann sie sich derzeit neben der Sozialstaatsdebatte nicht leisten.

Renate Künasts Politik ist also ein Opfer der Sozialstaatsdebatte?

Ja, denn die derzeitige Regierungsstrategie heißt: Konflikte vermeiden, wo es nur geht. Zudem wird mit der Agrarpolitik auch auf EU-Ebene geschachert. Da kann man den Franzosen dann ein bisschen zugestehen und andererseits seine Steinkohle-Subventionen beibehalten.

Sie meinen, der EU wird zu viel Schuld in die Schuhe geschoben?

Sicherlich. Ein Minister kann sich immer hinstellen und sagen: Das wird in Europa entschieden. Aber Deutschland dreht doch ein ganz großes Rad in Brüssel. Das Hauptproblem ist, dass das Verbraucherministerium zwei Klientele bedienen muss: die Bauern und die Verbraucher. Das widerspricht sich oft. Das Ministerium ist in dieser Form eigentlich ein Konstruktionsfehler.

Der Verbraucher hat keine Verantwortung, die Politik muss ihm alle Entscheidungen abnehmen?

Nein, man kann dem Verbraucher aber nur vorwerfen, dass er unverantwortlich handelt, wenn er weiß, was los ist. Man sieht dem Steak im Laden nicht an, ob es BSE-verseucht ist. Doch finden Renate Künast und Gerhard Sonnleitner lieber im „schnäppchenversessenen Verbraucher“ einen idealen Sündenbock für ihr Politikversagen.

Sie entlasten die Verbraucher zu stark.

Ich entlaste ihn, wo er keine Chance hat. Natürlich hat der Verbraucher auch eine Bringschuld, muss sich informieren und entsprechend handeln. Aber das kann er nur, wenn Markttransparenz besteht.

Was heißt das für die Zukunft?

Der Öko-Landbau ist die Zukunft. Nur er schont die Ressourcen. Aber er hat gegenüber der konventionellen Landwirtschaft noch immer große Wettbewerbsnachteile. Die müssen aufgehoben werden – aber nicht indem man die Subventionen für den Öko-Landbau erhöht, sondern indem die konventionellen Landwirte für die beträchtlichen Umweltschäden zahlen, die sie anrichten und dafür nicht noch mit Subventionen belohnt werden.

Die Agrarwende muss in der konventionellen Landwirtschaft ansetzen?

Natürlich, wir brauchen aber auch mehr Qualität – im konventionellen wie im biologischen Landbau. Doch das ist nicht die Richtung der gegenwärtigen Politik. Sie duldet, dass die Hersteller billigste Massenware durch vermeintliche Qualitätssiegel adeln. INTERVIEW: KATRIN EVERS