haute couture (4)
: Fünf Sekunden, bevor der Atem stockt

Elie Saab brachte den Orient auf den Laufsteg, Valentino lenkte den Blick aufs Dekolleté

Es endet, wo es begonnen hat: Wieder liegt das Palais Brogniart in zart erhellter Nacht, und von der Kuppel spielt das Licht hinab bis in die Säulengänge. Vor vier Tagen hat Julien Fournié für Torrente hier das erste Defilee der Haute-Couture-Sommersaison gezeigt, war vergnüglich durch die Geschichte der Mode getollt.

Elie Saab hingegen, der die Schauen abschließt, bringt den Orient auf den Laufsteg. Noch mehr Gold, noch mehr Silberfäden, wie beim schimmernden Catsuit; noch mehr Perlenstickerei, wie beim taubenblauen Spitzenkleid; und vor allem: noch mehr offensichtlich Kostbares, wie das büstengeformte Jäckchen aus rosa Krokodilsleder.

Und dann sind da die Hochzeitskleider. Nicht nur die übliche „Mariée“ als letztes Modell. Der Modeschöpfer aus dem Libanon hat zahlreiche geschaffen. Raffungen, die Fülle langer Röcke aus mehreren Lagen Musselin und vor allem die hauchfeinen, perlenbestickten Schleier. Um die Trägerin ist ein Glanz. Warum die Frau als Prinzessin inszenieren, wenn man sie zur Königin machen kann? „You have five seconds to catch your breath.“ Hineingesprochen in den Soundtrack des Catwalks, fasst der Satz recht genau, worum es in Saabs Entwürfen geht: um die Inszenierung atemberaubender Schönheit. In der Selbstbeschreibung des Modeschöpfers liest sich das so, als führe er die Frau ihrer wahren Bestimmung zu. Es ist eine machtvolle Frau, die die Haute Couture vorführt; nur ist Sex ist die einzige Form der Macht, die sie für die Trägerin vorsieht.

Jung, frisch, munter – wie auch immer die Designer ihre Schöpfungen charakterisieren mögen, am Ende steht: „C’est très sexy.“ Was kann das sein? Donatella Versace legt in ihren langen, engen Modellen mal eine Lende, mal einen Hüftknochen frei. Anders Valentino: Nach dem Defilee von 47 Modellen mochte man sich benommen fragen, welche Farbformgestaltung der Designer wohl ausgelassen hat. Doch hatten die Entwürfe ein gemeinsames Zentrum: das Dekolleté.

Zentraler als das Dekolleté war nur der Gestus der Präsentation: „Eat me“ in den Augen und „touch me if you dare“ im Rest. Nicht sexy, weil herausfordernd, sondern herausfordernd, um sexy zu sein: Im Inneren der Pose ist es leer. So harmlos kann das kalkuliert Voluptuöse sein.

Vielleicht war es der angemessene Gestus für die gefälligen, kundinnenorientierten Kleider? Immerhin war Valentino der Einzige, der im französischen Fernsehen nonchalant bemerkte, seine Haute Couture verkaufe sich sehr gut.

Ungaro hingegen inszenierte das Defilee als ungezwungenes Beisammensein von Kundinnen, Modehaus, JournalistInnen und Models. Sonst schafft der Modeschöpfer, so das Selbstverständnis, eher Kleiderkunst. Doch was heißt das eigentlich heute?

Capter l’air du temps, das war einmal das Einfangen dessen, was als als modern, als gegenwärtig galt. Glaubt man die Modernität heute verloren, oder ist Sexyness all there is? Oder ist es gar nicht mehr die Aufgabe des Modeschöpfers: eine Zeit sich selbst verständlich zu machen? Nehmen wir also die Kleider. Und den Rest machen wir selbst.

KATRIN KRUSE