Der überindividuelle Auftrag

Das SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER

Zu beobachten ist ein erstaunliches Phänomen. Die Linken mit FDP-Seele werden immer mehr

Brandenburg ist eine Stadt, die nicht mal Gregor Gysi aushält. Er muss da jedes Mal schnell wieder weg, hat er gesagt, sonst wird er depressiv. Aber jetzt gibt es Hoffnung für Brandenburg. McKinsey kommt. Fast die ganze Beratungsgesellschaft. Vielleicht fehlte Brandenburg bisher einfach die richtige Beratung. Zuerst könnte McKinsey die Stadt verschlanken. Die Hälfte rausschmeißen, alle über fünfzig? Brandenburg würde gleich viel dynamisch-fexibler aussehen. Und dann kommt eine Image-Kampagne. Denkbar ist auch ein neuer Name, wie bei dieser Bundesbehörde, über die nun alle reden. Brandenburg. Das klingt so statisch, so mauernd. Fast genauso vormodern-trotzig wie „Anstalt“. Und wieso eigentlich Branden-? Böswillige könnten darin einen Aufruf zu revolutionärer Zündelei entdecken.

So wie die Deutsche Bank letzte Woche in dem neuen Hochhuth-Stück. Nur weil Hochhuth an das Ende des ersten Akts seines neuen Dramas „McKinsey kommt“ eine „Warnung“ gesetzt hat. Zwischen dem ersten und dem zweiten Akt steht das Gedicht: „Für Josef Ackermann jährlich Euro 6,95 Millionen. Beirrt/ ihn, daß er 14,31 Prozent Deutsche Banker entläßt?/ Die Kosten dem Staat aufhalst, den die Wirtschaft erpreßt?/ Burckhardt nennt Mord Hilfsmittel, da man Richter wird./ Bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel.“ Burckhardt ist wahrscheinlich Carl Jacob Burckhardt, kein Pressesprecher Ussama Bin Ladens, sondern ein grundbürgerlicher Diplomat und Historiker. Und dann macht Hochhuth mit Wilhelm Tell weiter. Der hat ja nun vergleichsweise wegen Peanuts gemordet und ist trotzdem Weltliteratur geworden. Man könnte den „Tell“ in Zeiten des Terrors verbieten lassen. Die Deutsche Bank wollte zuerst wenigstens den neuen Hochhuth verbieten lassen. Allerdings hat Ackermann gerade zu viele andere Dinge zu tun.

Trotzdem, die Geste war schön. Ich glaube, Rolf Hochhuth hat die Deutsche Bank dafür geliebt. Es ist nicht schön für einen Dramatiker, wenn er ein neues Stück schreibt und keiner merkt es. Ein Dramatiker hat die Pflicht, bemerkt zu werden. Denn er hat die Pflicht, gefährlich zu sein. Heiner Müller wusste nach 1990 gleich, dass das mit dem Gefährlichsein vorbei ist. Der Dramatiker in diesem neuen Land ist eine Rüsche am Kleid des Kapitalismus, und kaum hatte Müller das begriffen, fiel ihm nichts mehr ein. Hochhuth weiß das noch nicht, denn er hat den Vatikan entlarvt und die Pharmaindustrie und Filbinger sowieso. Hochhuth wäre sehr enttäuscht zu erfahren, dass ihn keiner mehr für gefährlich hält.

Wahrscheinlich nicht mal McKinsey. Aber dass McKinsey kommt, um „McKinsey kommt“ zu sehen, das besitzt schon Größe. Eine ganze Vorstellung von Hochhuths neuem Stück haben die Flurbereiniger gemietet. Premiere ist am 13. Februar. In Brandenburg.

Aber die McKinseys sollten nicht allein nach Brandenburg fahren. Sie könnten die Deutsche Bank überreden mitzukommen, wenn Ackermann (6,95 Millionen) wieder Zeit hat. Aber ein Risiko ist doch dabei. Was, wenn die McKinseyaner und die Banker nun in Brandenburg genauso depressiv werden wie Gregor Gysi? Vielleicht bleiben sie dann da und lesen Hochhuths sämtliche Stücke.

Aber wenn sie trotzdem losgehen, könnten sie ihre Kultur-Tour gleich erweitern. Schon des Vergleichs wegen. Bis Ende der Woche läuft in Berlin „Der Auftrag“ von Heiner Müller, inszeniert von Ulrich Mühe. Mühe hat zum ersten Mal Regie geführt und auch gleich ein Beraterproblem gekriegt. Immerhin ist „Der Auftrag“ eine freie Produktion, und es wäre wirklich schade gewesen, wenn keiner sie bemerkt hätte wie beinahe den Hochhuth. Schließlich kann die Deutsche Bank nicht jedem helfen. Also verordnete sich „Der Auftrag“ eine Art Imagekamagne. Und es passierte dasselbe wie bei der Imagekampagne der Bundesregierung. Alles völlig in Ordnung, wenn am Ende auch Kommerz drin ist. Aber bei der Bundesregierung ist eben Regierung drin, und im „Auftrag“ ist Heiner Müller drin. Also gewissermaßen Anti-McKinsey. Trotzdem könnte sich McKinsey den „Auftrag“ anschauen. Das Stück fragt, ob im Menschenleben etwas vorkommen kann, das über den McKinseynismus hinausgeht. Und Heiner Müller wäre nicht Heiner Müller, wenn er einfach ja sagte. Der Exsklavenhalter Debuisson, losgezogen im Auftrag der Französischen Revolution, um in Jamaika einen Sklavenaufstand anzuzetteln, wird am Ende wieder Sklaven halten. Wegen des Realismus des Verrats.

„Aufträge“ sind ohnehin sehr schwierig. Ex-DDR-Bürger, sofern sie bei Trost sind, haben ein natürliches Misstrauen gegen Aufträge. Es gab Pionieraufträge, FDJ-Aufträge, Parteiaufträge. Darum können die einstigen Dauerauftragnehmer (Auftragsverweigerer inklusive) das Leben so ganz ohne Auftrag noch immer sehr genießen und werden schon nervös bei linker Rhetorik. Das verbindet sie seelisch mit McKinsey.

Zu beobachten ist ein erstaunliches Phänomen. Die Linken mit FDP-Seele werden immer mehr. Vielleicht bilden wir bald die Mehrheit. Links ist, wer im Gegensatz zu McKinsey und der FDP weiß, dass ein Gemeinwesen verloren ist ohne überindividuellen Auftrag. Insofern zählen manche Unternehmer älteren Typs zu den meistverkannten Linken. Freier Demokrat ist, wer weiß, dass man die Eigenlogik der Dinge nicht ungestraft ignoriert, was ihm ein seltsam kindisches Überlegenheitsgefühl verleiht. Trotzdem sind wir linken Freidemokraten, mental vollkommen unfähig, FDP zu wählen, nicht unbedingt schizophren. Wir bezeichnen nur eine Sackgasse der Evolution. Denn wir verkörpern die Einsicht, dass der Sozialhilfeempfänger, der in Berlin nun nicht mehr S-Bahn fahren kann (abgeschafftes Sozialticket), und McKinsey oder Josef Ackermann nichts mehr miteinander zu tun haben. Es ist sentimental, noch Gesetze machen zu wollen, die beide betreffen sollen, nur weil sie im selben Land leben. Also scheinbar einen Lebensraum teilen. Aber genau das ist die Illusion. Dass Florian Gerster nicht in einer Wohnung, sondern im besten Hotel von Nürnberg wohnte, zeigte, dass er gar nicht auf die Idee kam, er könnte mit denen, die seine Behörde verwaltet, etwas gemein haben. Er ist Manager. Eigen-Logiker. Nur linke Moralisten werfen ihm das vor.

Es ist nicht schön für einen Dramatiker, wenn er ein neues Stück schreibt und keiner merkt es

Plötzlich und ungerechterweise hat Florian Gerster viel mehr mit der Klientel seiner Behörde zu tun, als er je dachte. Und wenn Hochhuth in „McKinsey kommt“ Recht hat, ist es für den Typus Gerster auch nicht leicht, wieder einen Job zu finden. Dafür hat er jetzt Zeit, mit den McKinseys und der Deutschen Bank in Brandenburg ins Theater zu gehen und vorher in Berlin den „Auftrag“ zu sehen. Und danach den neuen spanischen Film „Montags in der Sonne“!

Einen solchen Arbeitslosenfilm gab es noch nie. So leicht, so witzig, so poetisch. Vielleicht läuft der ja auch in Nürnberg. Dann könnte es die Bundesagentur für Arbeit genauso machen wie McKinsey in Brandenburg und ein ganzes Kino mieten. Oder wie viel Kinos braucht man für 90.000 Mitarbeiter? Die überflüssigen 45.000 (Gerster) noch mitgerechnet.