Gewalt ist alltägliches Geschäft

Drohungen, Pöbeleien oder Faustschläge: Initiativen legen Liste mit über 60 antisemitischen und rassistischen Übergriffen vor und nennen die Zahlen „erschreckend“. Ein Ergebnis: In bestimmten Bezirken müssen bestimmte Menschen besonders leiden

VON HEIKE KLEFFNER

Es ist eine lange Liste von Daten und Fakten, die auf den ersten Blick nüchtern wirkt – und auf den zweiten Schreckliches dokumentiert. Fein säuberlich haben drei Initiativen antisemitische und rassistische Übergriffe des vergangenen Jahres in Berlin aufgelistet – zu einer Chronologie der Gewalt: Über 60 Vorfälle gab es 2003 – 42 davon waren körperliche Angriffe, der Rest Drohungen und Schändungen.

Die Auflistung ergibt „erschreckend hohe Zahlen rechtsextrem, rassistisch, antisemitisch sowie schwulenfeindlich motivierter Gewalttaten“ in Berlin, so das Fazit der Opferberatungsstelle „Reach Out“, des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums (Apabiz) sowie des Vereins „Tacheles Reden“.

In bestimmten Bezirken müssen bestimmte Menschen leiden, so ein weiteres Ergebnis der Chronologie: „Ein klarer Schwerpunkt von Angriffen auf Migranten und äußerlich der linken Szene zugehörigen Jugendlichen ist in Treptow und Köpenick“, sagt Sabine Seyb von Reach Out. Im Bezirk Mitte häuften sich dagegen antisemitische Sachbeschädigungen und Schändungen, ergänzt Ulli Jentsch vom apabiz.

In Schöneberg gibt es mehr schwulenfeindliche Angriffe als anderswo. Ein Beispiel von vielen: Am Morgen des 27. September 2003 beschimpfte und beleidigte eine fünfköpfige Gruppe zwei Schwule vor der Diskothek Heile Welt. In der Eisenacher Straße stießen sie einen der beiden zu Boden. Er erlitt Verletzungen an Hüfte, Knie und Ellbogen. Sein Begleiter verlor nach einem Schlag auf das linke Ohr für zwei Wochen das Hörvermögen. Die Betroffenen erstatteten Anzeige.

Doch viele Opfer scheuen den Gang zur Polizei. Sie berichten ihre Erlebnisse zwar Beratungsstellen wie dem schwulen Überfalltelefon, lehnen aber eine Veröffentlichung aus Angst vor weiteren Bedrohungen und Diskriminierungen ab. Die Initiativen gehen deshalb von einer hohen Dunkelziffer nicht gemeldeter rassistischer und rechtsextremistischer Gewalttaten aus. „Unsere Chronologie ist mit Sicherheit nicht vollständig“, sagt Sabine Seyb von Reach Out. Viele Opfer von „alltäglicheren“ Formen der Bedrohung unterhalb der Schwelle zur Gewalttat hielten ihre Erfahrungen kaum noch für erwähnenswert. Darum haben die Initiativen entschieden, einige dieser Fälle exemplarisch in die Dokumentation aufzunehmen, begründet Seyb: „Rechte Einstellungsmuster führen zu einer ganzen Bandbreite von Gewalttaten, Drohungen, Schmierereien und Schändungen von Minderheiten.“

Im November 2003 hatten die Behörden laut Innensenator Ehrhart Körting (SPD) allein im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres 41 Angriffe von Rechten registriert.