Babelsberg Boogie

L.A., Las Vegas, Lower East Side: Alles made in Potsdam. Oscarpreisträger Kevin Spacey dreht im Schatten des RBB

Der kalte Ostwind weht die Zarah-Leander-Straße entlang. Er weht über den Billy-Wilder-Platz, streift die Lilian-Harvey-Straße und wirbelt schließlich um die Marlene-Dietrich-Halle herum. In dem großen, kastenförmigen Bau wird gerade eine Szene gedreht, die in einem amerikanischen Sommer Ende der 50er spielt. Der Film heißt „Beyond the sea“, und über hundert KomparsInnen in lurexdurchwirkten Cocktailkleidchen und Smoking hocken in einem mit Fake-Nebel verstaubten Fake-Nachtclub, stoßen mit Fake-Manhattans an und hören Kevin Spacey zu.

Der steht auf der Nachtclub-Bühne und tut so, als sei er Bobby Darin, legendärer Sänger und Komponist, der sich vor allem durch die Gute-Laune-Hits „Splish Splash“ und „Mack the Knife“ im kollektiven Rockabilly- Schlagergedächtnis der USA festgesetzt hat. Und dadurch, dass er früh gestorben ist: mit 37, das war 1973, Darin hatte seine zweite Operation am offenen Herzen nicht überstanden – seit einem schweren Fieber in der Kindheit litt er an einem schwachen Herzen.

Kevin Spacey verfilmt Darins kurzes Leben als Bio-Pic: ein Film, der die Biografie des Sängers und Entertainers nacherzählt und das Ganze in eine Spielhandlung bettet, mit Liebe, Karriere, Musik und Tanz. Es ist zweite Regiearbeit des Oscar-prämierten Schauspielers, er hat das Drehbuch geschrieben und er produziert den Film mit seiner eigenen Firma. Unterstützt wird der Streifen vom Filmboard Berlin-Brandenburg. Mit 500 000 Euro beteiligen sich die deutschen Förderer – Hollywood ist in Potsdam mehr als gerne gesehen.

Außer den HauptdarstellerInnen (Spacey, John Goodman, Bob Hoskins, Kate Bosworth, Brenda Blethyn und Greta Scacchi) wirken 2.500 KomparsInnen mit, erklärt Jan Fantl, einer der Koproduzenten, und jede Menge Tänzer und Tänzerinnen, die meisten von ihnen aus London. Bei der Szene im Nachtclub, in der Spacey als Darin zuerst einen hübschen Crooner-Song aus dem Ärmel schüttelt und dann einen Dialog mit dem in Deutschland vor allem aus „Roseanne“ bekannten Goodman führt, tanzt erst mal niemand. Trotzdem ist der Aufwand riesig: Die 50er-Jahre-Nachtclub-Deko strahlt echt (bzw. falsch) wie in Las Vegas, an den Wänden prangen riesige Gemälde, Disco-Kugeln glitzern und die Mädchen und Jungs wippen im Takt zu Spaceys Song. Er singt wirklich gut, es ist ein Vergnügen, ihm als Sänger und Entertainer zuzuhören. Der 44-jährige Spacey verdiente seine Sandwiches früher eine Zeit lang als Stand-up-Comedian, und für seine Darin-Impersonage – ein langjähriger Traum – hat er extra Gesangsstunden genommen.

Wenn man die Halle verlässt, über ein paar halb gefrorene, verlorene Wiesen stolpert, vorbei an uralten Kulissenresten wie einem Dinosaurier und ganz frischen Kulissenresten wie dem kalifornischen Wohnsitz Darins, kommt man nach New York, Stadtteile Harlem und South Bronx. Die Straßenzüge, die bereits in einigen in Babelsberg gedrehten und unter anderem in Berlin oder Warschau spielenden Filmen zum Einsatz kamen, sind durch die typischen Feuerleitern, Hydranten und ein paar chinesische Troddellampen in erstaunlich überzeugende „poorer New York“-Ecken auf- (oder ab-)gepäppelt worden.

Ein paar Shots wurden sogar „on location“ in Berlin gemacht, erzählt Ko-Produzent Fantl, es gäbe noch eine Menge in amerikanischem Stil hinterlassene 50er-Jahre-Architektur. In einer anderen Halle wird derweil an Kulissen gezimmert, der Film muss schließlich die Zeit von den 40ern bis in die 70er abdecken, mit allem, was dazugehört. Auch den Klamotten: In einem Saal neben den Produktionsbüro ist der riesige Kostümfundus untergebracht, mit nach Jahrzehnten geordneten Kleiderstangen voller bunter Outfits.

Zur Mittagspause schwärmen die Nightclubber in ihren 50er-Jahre-Pumps und Anzügen in die gegenüberliegenden Kantinen. Jetzt hat das Filmgelände plötzlich wirklich etwas von Hollywood mit seinen Studios, um die permanent verkleidete NebendarstellerInnen aus verschiedenen Sets, Zeiten und Genres herumschleichen. Dort ist man die Absurdität der gut gelaunten Karnevalstruppe – so sehen die falschen amerikanischen Cats ’n’ Chicks neben den robusten UFA-Gebäuden aus – schon gewöhnt. Hier in Potsdam, im kalten Ostwind, ist es immer noch ulkig, ein paar Meter vom gebeutelten RBB entfernt und vis-a-vis der Hoffnungsvolle-Talente-Schmiede hff (Hochschule für Film und Fernsehen) eine mögliche Zukunft der deutschen Filmindustrie zaghaft gedeihen zu sehen. Ulkig, aber nicht undenkbar. Man gewöhnt sich gerne dran.

JENNI ZYLKA