zwischen den rillen
: Zurücklehnen in Zeiten der Zielgruppenkonfusion

Amp Fiddler bringt die Lässigkeit zurück in den Soul und lässt die Krise der Musikindustrie souverän an sich vorüberziehen

Die Reservearmee des Neo Soul wächst. Sie verfügt über genug Produktionsmittel, hat einen Computer zu Hause stehen und eine überaus stilsicher zusammengestellte Plattensammlung. Sie liebt Motown und Stax, sie hört HipHop und sie weiß, ob die Leute in den Clubs derzeit lieber zu Techno oder House feiern. Wenn eine Sängerin gebraucht wird, reicht ein Blick ins Adressbuch, da sind gleich ein Dutzend Frauen mit außerordentlichen Stimmen aufgelistet. Falls noch ein Rap fehlt, wird bei der örtlichen Homie-Agentur angerufen, die schicken ein paar frisch angelernte Gangster rüber. Und für das Video hält sich eine Turnhalle voll Popowacklerinnen bereit, die für den großen Moment jahrelang das Schütteln geübt haben. So süß waren vor kurzem noch die Träume der Produktmanager in der Musikindustrie.

Mittlerweile schlafen sie eher schlecht: Weil drei, vier Jahre alles ging von Neo Soul bis R&B, geht nicht mehr viel. Das Aufmerksamkeitspotenzial ist erschöpft, die Charts und jedes Handy sind doppelt und dreifach mit Klingeltönen versorgt. Der Scheiß war heiß, jetzt zahlt man den Preis: Vor lauter tollen Nachwuchsangeboten stagniert der Markt dank Überproduktion – wozu heute lecker Tweet oder Ashanté kaufen, wenn es morgen was Neues von Brandy gibt? War nicht auch ein Comeback von Mary J. Blige geplant? Haben die Neptunes endlich die Outkast-Remixe fertig? Und wird es nicht langsam Zeit für ein Best-of-Album von Beyoncé? Das könnten in etwa die letzten wirren Gedanken vom Antonio L. A. Reid gewesen sein, bevor er als Chef bei seiner Plattenfirma Arista entlassen wurde.

In solchen Augenblicken äußerster Zielgruppenkonfusion und Torschlusspanik dürfte sich ein true soul artist wie Amp Fiddler genüsslich zurücklehnen und noch breiter grinsen, als es sein sunkistsonnenfarbenfrohes Gemüt ohnehin hergibt. Er ist seit Mitte der Achtzigerjahre dabei, er hat sie alle kommen und gehen sehen. Als Gastmusiker war er mit George Clintons P-Funk Allstars stramme zwölf Jahre von 1984 bis 1996 on the road; bei Prince durfte er 1990 die kranken Keyboardgeräusche im Hintergrund auf „Graffiti Bridge“ machen; von Jamiroquai hat er sich am Klavinett anheuern lassen und für Seal war er das orgelnde Mietschwein auf dessen Tour Ende der Neunziger. Nun sind sie weg vom Fenster, tschüss, bye-bye.

Wer aber hat mit dem Album „Waltz of a Ghetto Fly“ für die nächsten Monate die Zukunft des Neo Soul am Start? Und wer wird mit der daraus ausgekoppelten Single „Superficial“ die Leute verrückt machen, bis sie den Refrain auf der Straße blöken, als hätten sie Lachgas inhaliert? Eben, es geht wieder was, schöne Grüße, Ihr Amp Fiddler.

Man kann die Sache auch in Ruhe betrachten. Als Sessionmusiker hat sich Leslie Amp Fiddler seine Karriere von seinem Heimatort Detroit aus Stück für Stück aufgebaut. 1990 kam mit „With Respect“ schon mal eine Platte von ihm heraus, die nach Seventies-Funk klang und daher auf wenig Gegenliebe in Zeiten von House und Techno traf. Was soll’s, war halt ein Test, wird sich Fiddler gesagt haben. Also hat er weiter im Studio gearbeitet und nebenbei sein Keyboardspiel und seinen Gesangsstil verfeinert. Irgendwann schnarrte er so heiser wie Sly Stone, überhaupt passte sein Bekenntnis zur Old School plötzlich ins Konzept von eher dem Jazz zugeneigten Technoproduzenten. Als einer der Ersten wurde Carl Craig hellhörig und ließ ihn auf seinem Neighbourhood-Projekt „Detroit Experiment“ eine Coverversion von Steve Wonders „Too High“ singen. Tatsächlich muss Fiddler bei den Aufnahmen extrem high gewesen sein, jedenfalls rauscht seine Stimme mächtig verstrahlt und psychedelisch quengelnd durch sämtliche Filter.

Diese Art sonic fiction hat er auf „Waltz of a Ghetto Fly“ weiter ausgesponnen. Zum Warm-up wird man mit der slow schaukelnden Ballade „Dreamin’“ abgeholt: Fiddler strolcht in der Gegend umher, singt „trippin’ baby“, es knistert in seinem Nord-Electro-Keyboard und ähnlich obskuren Soundapparaten, der Beat stockt, schleppt, schlufft – und biegt am Ende doch Richtung Tanzfläche ab. Diese praktisch aus dem Nichts eingefädelte Kurve ist wichtig, an ihrem sanft aufwärts steigenden Verlauf erkennt man den Listenreichtum, mit dem ein erfahrener Fly Guy wie Amp Fiddler Stimmungen wechselt und aus den lose in der Geschichte hängenden Fäden des Soul eine Streethymne knüpft: „Move so smooth you want to take it.“ Wie wahr.

Falls es trotzdem nichts wird mit dem Ruhm, kann Fiddler wenigstens eins von sich behaupten: dass er 2004 als verschlagener Ghettotrickster eine gewisse Lässigkeit zurück in die auf Stromlinie getrimmte R&B-Entertainmentmaschine gebracht hat. Seine Kinder werden es ihm einmal danken. Immerhin soll sein Sohn schon jetzt ziemlich gut Trompete spielen. HARALD FRICKE

Amp Fiddler: „Waltz of a Ghetto Fly“ (Genuine Rec./PIAS)