je böller, je öller von WIGLAF DROSTE
:

Der Konsumismus produziert Plunder, das ist sein Wesen. Wer die Herstellung von Abfall für normal hält, findet gar nichts dabei und plundert munter mit. In solchen Verhältnissen entstehen Waren, die noch den ramschresistentesten, schrottfestesten Mann in die Transpiration treiben. Wenn eine CD „Grünes Herzbeben“ heißt, denkt man beklommen an Claudia Roths verkitschte Existenz; der Subtitel „Hörgeschichten eines germano-irischen Zwitters“ nimmt einem zwar die Angst, ein Auftritt der Schluchzgrünen stehe unmittelbar bevor, lässt aber seinerseits nichts Gutes ahnen.

Die Visitenkarte des Autors bestätigt endgültig die Ahnung nahenden Unheils: „Harald Jüngst, Jahrgang 1950, pendelt seit Mitte der 70er-Jahre als Lehrer mit Leib und Seele, mit Geist und Gefühl sowie mit Augen und Ohren zwischen Duisburg und dem nordwestirischen Donegal.“

Mit was der Mann sonst noch herumpendelt, möchte man lieber nicht wissen, doch Gnade wird nicht gewährt. Harald Jüngst spricht gern über sich, bevorzugt in der dritten Person: „Er schlürft trockenen Weißwein und Guinness, genießt Grönemeyer und U2. Er ist eben ein germano-irischer Zwitter – und auch ein realistischer Romantiker.“ Man sieht ihn direkt vor sich sitzen, einen Lehrer Mitte 50, Marke jung geblieben; locker und dufte schüttet er sich einen Pint U2 ins Ohr.

Quallig juckelt er sich durch sein Entsetzensleben und drängt es jedem greifbaren Zuhörer auf. Das menschliche Ohr zerschrotet er mit einem ebenso abgestandenen wie selbstgefällig vorgetragenen Als-ob-Humor, in dem Iren zwanghaft als „Kelten-Cowboys“ bezeichnet werden, Zähne „Beißwerkzeuge“ und Automobile „Vehikel“ heißen, kurze Augenblicke zu „Mini-Momenten“ reklameverhackstückt werden und bei Regen adäquat „Petrus seine Schleusen öffnet“. Für den phrasensatten, ranzigen Jovialjargon attestiert sich Jüngst selbst „leichtes Augenzwinkern und Herzwitz“. Smörebröd, Smörebröd, römmpömmpömmpömmpömm.

Wer keine Sprache hat, kann nichts erzählen. Dass Jüngsts Englisch und Irisch arm sind, wäre leicht verzeihlich – klänge nicht sein Deutsch wie eine aus Pflegeleicht-Agenturen zusammengesogene Leihmuttersprache: „Der rote Faden dieses Hörbuchs, besser gesagt der grüne, leuchtet in der irischen Mentalität.“ Harald Jüngst ist um seinen literarischen Rang dennoch nicht bange. Seinen Text zur CD beendet er mit den Worten: „Danke, lieber Heinrich Böll, dass du Ähnliches schon 1957 formuliert hast.“

Hier, beim Plundern mit Böll, schließt sich der Arschgeigenreigen. Zum Böllduzer Jüngst gesellt sich zwillingshaft der ichbesoffene, kitschhaubitzende Wolfgang Niedecken. Böll sei „ein fantastischer Schriftsteller mit ganz viel Herz“ gewesen, einer, „der zuhören konnte und von mir ganz viel wissen wollte“, erzählte Niedecken dem Kölner Stadt-Anzeiger, nachdem er in einer Kölner Schulaula Böll-Texte las – und selbstverständlich auch diese Gelegenheit nicht ausließ, seine Eigenmümmeleien vorzutragen. Curiosity killed the cat: Da wollte einer ganz viel von Wolfgang Niedecken wissen – und kurz darauf war er tot. Es wird dem Heinrich Böll eine Lehre gewesen sein.