Tödliche Treibjagd

Die Recklinghäuser Jagdbehörde hat für heute ein Taubenschießen auf dem städtischen Friedhof erlaubt. Die Gräber seien zu verdreckt gewesen

“Jäger schießen auf alles, was sich bewegt“, sagen die Tierschützer und fordern ein Verbot von der Stadt

VON VOLKER KÖNIG

Ungewohnte Töne gibt es heute früh auf dem Recklinghausener Nordfriedhof zu hören: Wo sonst andächtige Stille herrscht, ertönt ein fröhliches Halali. Treiber scheuchen Tauben auf und Jäger erschießen die vor den Störenfrieden fliehenden Tiere – so zumindest sieht die Planung der Unteren Jagdbehörde aus.

Eigentlich ruht die Jagd auf allen eingefriedeten Grundstücken, erst recht auf Friedhöfen. Aber die Behörde hat ein Auge zugedrückt und eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Die Eingabe des „Verkehrs- und Verschönerungsvereins Nord“ (VVN) sei der Auslöser gewesen, so Behördenmitarbeiter Stefan Badners. Die VVN hatte verunreinigte Grabsteine und einen zunehmenden Bestand an Wildtauben als Grund für die Jagd angegeben. „Andere Abwehrmaßnahmen sind nach Rücksprache mit dem Kreisjagdberater nicht durchführbar.“

Als blanken Unsinn bezeichnet Axel Hirschfeld vom Bonner „Komitee gegen den Vogelmord“ die Aktion. „Zugenommen hat in den letzten Jahren nur eines: das Gejammere der Jäger.“ Seit den Achtzigern sinke der Bestand an Wildtauben kontinuierlich. Türkentauben stünden unter Naturschutz und dürften gar nicht mehr gejagt werden – auch nicht mit Ausnahmegenehmigung.

Ringeltauben sind Zugvögel. Der Friedhof dient ihnen höchstens als Zwischenstopp; in ein paar Tagen wird schon der nächste Schwarm eintreffen.

„Tierschutz ist mittlerweile als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen, da kann die Stadt nicht einfach Tiere töten, nur weil sie dem ästhetischen Empfinden einiger FriedhofsbesucherInnen nicht entsprechen,“ sagt Folko Niebelschütz von „arche2000 Welttierhilfe e.V“. Er fordert Bürgermeister Wolfgang Pantförder (CDU) daher auf, die Schießerei zu verhindern und droht mit Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen. Die Stadt hingegen will sich zum Vogelschießen nicht äußern, dies sei alleinige Sache der Jagdbehörde.

Eva-Maria Krumbiegel vom örtlichen Tierschutzverein sieht durch die Treibjagd auch Singvögel bedroht und fürchtet um das Leben der zahmen Friedhofskatzen, die ihr Verein seit mehr als 10 Jahren betreut: „Jäger schießen doch auf alles, was sich bewegt!“ Auf dem Friedhof habe sie nie mehr als ein Dutzend Tauben gleichzeitig gesehen.

VVN-Vorsitzender Manfred Henning indes versteht die Welt nicht mehr: Sein Verein sei doch nur Vermittler gewesen. Von einer Treibjagd habe niemand gesprochen. Möglicherweise hätte er zwar in den Gesprächen mit der Verwaltung gesagt, dass ein denkbares Mittel auch der Abschuss der Tauben sei – aber selbstverständlich nur durch den zuständigen Förster. „Die nedgültige Lösungs-Idee kam von der Stadt.“ Hätte er den Ärger mit den Tierschützern schon früher geahnt, hätte er die Finger davon gelassen.

Gleich zwei Termine wurden von der Jagdbehörde festgesetzt. Heute und am 7. Februar werden sich jeweils um Viertel nach Sieben morgens Grünberockte treffen, um für zwei Stunden ihre Pflicht zu erfüllen. Und sie werden dabei nicht alleine sein: Nach der ermutigenden Resonanz in der Presse hat Tierfreundin Krumbiegel mit Schützenhilfe von „arche2000“ vor dem Friedhof einen stillen Protest gegen die Jagd organisiert.

Ob die Grabsteine in Zukunft sauberer sein werden, ist ungewiss. Die Tierschützer sind jedoch sicher, dass diese Treibjagd die erste und letzte ihrer Art in Recklinghausen sein wird.