Warum ist ER kinderlos?

Der Mann ohne Kinder war der große Unbekannte der Gesellschaft. Jetzt wird er entdeckt. Aber was hat es zu bedeuten, dass er meistens zwar Abitur hat, aber keinen Hochschulabschluss?

VON ULRIKE WINKELMANN

Kennen Sie den? Er hat Abi, aber kein Studium, ist Techniker oder Bürokaufmann und lebt in einer Stadt in Schleswig-Holstein. Ist er jünger als 45, wählt er FDP – ist er älter, eher grün.

Es ist der Mann ohne Kinder. Oder vielmehr: Es ist ein kinderloser Mann von vielen. Es gibt noch einen. Der hat weder eine ordentliche Ausbildung noch Geld und lebt vielleicht in Berlin: vier von fünf Männern bis 45, die weniger als 5.000 Euro netto im Jahr verdienen, sind kinderlos. Und dann gibt es noch einen, der hat viel Geld und wohnt wahrscheinlich in München: Drei von vier Männern bis 45, die über 30.000 Euro netto im Jahr verdienen, sind offenbar auch vor allem mit Geldverdienen beschäftigt.

Dem Berliner Wirtschaftsforschungsinstitut DIW ist es zu danken, dass der kinderlose Mann zwar verschwommene, aber doch kenntliche Züge bekommen hat. Im Auftrag von Renate Schmidts Familienministerium hat das DIW die Daten von 8.600 Männern aus dem Jahr 2001 zusammengetragen und ausgewertet. 20 Seiten schlank ist die Studie, die erstmals Fragen nach Ausbildung, Einkommen, Wohnort und politischen Präferenzen des kinderlosen Mannes beantwortet.

Bislang war der ein großer Unbekannter: Seit Jahrzehnten rennen Demografen und Politiker der kinderlosen Frau hinterher und fragen sie, warum sie verdammt noch mal keine Kinder kriegt – insbesondere dann, wenn sie eine lange und teure Ausbildung genossen hat. Darauf, die Männer zu fragen, kam verblüffenderweise nie jemand.

Vielleicht sollte man an dieser Stelle Jürgen Dorbritz vom Wiesbadener Institut für Bevölkerungsforschung lobend ausnehmen. Er zählte Mitte der 90er immerhin schon einmal nach, dass es insgesamt viel mehr kinderlose Männer als kinderlose Frauen gibt. Das DIW bestätigt ihn nun: Ein Viertel der Männer von 45 bis 50 Jahren ist kinderlos, aber nur halb so viele Frauen im selben Alter sind es.

Geht nicht, meinen Sie? Noch einmal scharf nachdenken: Wer sagt, dass Kinderproduktion nur im Verhältnis 1:1 funktioniert? Manche Männer machen mit mehreren Frauen Kinder. Das Wort Alphamännchen soll an dieser Stelle aus Geschmacksgründen vermieden werden.

Allen Männern, die meinen, im Gegensatz zu ihren Freundinnen noch ewig Zeit zu haben, sei gesagt, dass ihnen zwar die Biologie kaum Grenzen setzt, die Statistik aber sehr wohl: Die erstmalige Vaterschaft ist „bereits ab Mitte 40 ein äußerst seltenes Ereignis“, resümiert Studienautor Christian Schmitt. Er vermutet außerdem, dass der Anteil dauerhaft kinderloser Männer ansteigt.

Schade, dass sich Schmitt ansonsten bei der Auswertung seiner Tabellen so zurückhält. Aus all seinen wundervollen Daten zieht er vor allem den Schluss, dass Männer beim ersten Kind älter sind als Frauen. Im Übrigen dürfe man ruhig davon ausgehen, dass in Familien immer noch die Männer das Geld verdienen. Ach nee.

Die Zahlen, die unruhig machen, sind doch aber ganz andere. Was etwa hat es zu bedeuten, dass die meisten kinderlosen Männer zwar Abitur haben, aber keinen Hochschulabschluss? Was qualifiziert den Mann mit Studium eher zum Kindermachen als den Mann mit Abi? Offenbar nicht unbedingt die Fähigkeit, Geld zu verdienen: Bei den Männern bis 45 scheinen die unterdurchschnittlichen Naja-Einkommen von 10.000 bis 15.000 Euro netto im Jahr das Kinderzeugen zu begünstigen. Bei den Älteren sind es vor allem die Durchschnittsverdiener (15.000 bis 20.000 Euro), die Kinder haben: Hier sind nur knapp über 10 Prozent kinderlos.

Viel Geld – oder gar keins

Der kinderlose Mann hat also entweder gar nichts, oder er hat richtig Geld und Abi, aber kein Studium. Aber hat er auch eine Frau? Darüber verrät das DIW nichts. Die Demografen haben auf der Suche nach den Gründen für Kinderlosigkeit zwei Milieus gefunden, in denen wenige Kinder geboren werden: das Karrieremilieu, in dem Frauen wie Männer optimale Ausbildung, maximale Flexibilität und minimale Neigung zum Privat-, sprich Familienleben aufweisen. Und ein Milieu prekärer oder jedenfalls von Abstiegsängsten gebeutelter Existenzen, in dem Frauen wie Männer sich gegen Kinder entscheiden, obwohl sie gar nicht so schlechte Startbedingungen haben. Sie glauben bloß nicht, dass Beruf, Kinder und Urlaub zusammengehen.

Irgendwo hier muss er zu finden sein, der Mann mit Abi ohne Kinder. Vielleicht ist er einsam. Vielleicht findet er Kinder gar nicht so schrecklich, hat aber über seinen Job als kaufmännischer Angestellter vergessen, wie das ging: Frauen kennen lernen. Vielleicht ist er verheiratet und ganz froh, dass seine Frau auch findet, dass Kinder gar nicht nötig sind. Wahrscheinlich aber möchte er eines gar nicht gefragt werden: Warum er keine Kinder macht.