Die Filmmacher

24 Bilder pro Sekunde, 35 Millimeter breit. Ohne die wären eine Lollobrigida oder ein Wayne nie Stars geworden„Wir sind ein Handwerksbetrieb“, sagt Dietmar Ulrich. Sorgfaltgeht vor Kreativität

VON JÖRN KABISCH
UND BERND HARTUNG (FOTOS)

Sie ist ein kleines Monstrum, das den größten Teil des Tages in absoluter Dunkelheit verbringt. „KM 14“ heißt die Maschine, voll mit kleinen und großen Spulen, Schaltern und Führungsrollen. Nur ausnahmsweise sind die Lampen eingeschaltet hier im dritten Stock des alten Fabrikgebäudes in Berlin-Neukölln, und so glänzt der Stahl der KM 14 nur matt, als könnte er das Licht nicht ertragen. Wenn die Maschine läuft und sich mit leichtem Klackern Rohfilmrolle und Negativfilm abspulen, Bild für Bild weiterschieben, ist höchstens Rotlicht aus einer Taschenlampe erlaubt, um die Belichtung nicht zu stören.

Hier schlägt das Herz der Geyerwerke. Zehn Kopiermaschinen sind es, die Stunde für Stunde, Minute für Minute, manchmal hunderte Kilometer Film am Tag belichten, die dann, entwickelt und auf Rolle gezogen, in einen Großteil der deutschen Kinos gehen. Die Geyer’sche Kopieranstalt, heute eine Tochter der Cinemedia AG, ist eine der größten Filmfabriken Deutschlands. Hier entstehen die 24 Bilder pro Sekunde, 35 mm breit, ohne die eine Lollobrigida oder eine Monroe, ein Wayne oder ein Grant nie auf der Leinwand zu Leben erwacht, nie zu Stars geworden wären. Hier wird Film kopiert, auf die gute alte und bis heute übliche Art – in Hochzeiten 40 Millionen Meter im Jahr, genug für eine Schleife um den Globus. Hier lebt die Welt des Zelluloids weiter, trotz der fortschreitenden Digitalisierung des Films, von der es heißt, sie bedeutet für die Branche so etwas wie die Umstellung auf den Tonfilm in den 20er-Jahren.

Geyer ist seit dieser Zeit ein klingender Name – und ein Stück Filmgeschichte. 1911 gründete Karl A. Geyer die erste Filmkopierfabrik in Deutschland. Bis dahin war es üblich, dass Filme vom Drehbuch über die Aufnahme bis hin zur Entwicklung und Vervielfältigung allein von den Produktionsfirmen hergestellt wurden. Doch Geyer lagerte nicht nur die Postproduktion aus, wie man heute die Nachbearbeitung nennt, er entwickelte auch eigene Maschinen und Verfahren, mit denen sich die Filmherstellung industrialisieren ließ. Sein erster Eigenbau war eine Perforiermaschine mit einer Vierlochstanzung – also acht Löcher pro Bild – die noch heute Standard ist. Und während sich der Kintopp zum Massenmedium entwickelte, hat Geyer sein Ziel entdeckt: die Meisterschaft über das Zelluloid.

Wohin man auch kommt in den Geyerwerken, egal ob an den Schnittplätzen, den Entwicklungsmaschinen oder den Lichtbestimmungsräumen, überall trifft man auf Filmdosen – pizzatellergroße, flache Blechbüchsen, die sich manchmal bis unter die Decke stapeln. Und wenn man weiterstreift, begegnen einem Menschen in grauen oder weißen Kitteln. Sie haben dünne, weiße Stoffhandschuhe übergestreift oder wenigstens in der Tasche für den Fall, dass sie den Film anfassen müssen.

Nur bei einem Arbeitsgang, erläutert Dietmar Ulrich, der hier seit 30 Jahren arbeitet und für die Qualitätssicherung zuständig ist, darf ausdrücklich mit bloßen Fingern gearbeitet werden: wenn ein Kameramann seinen Film zur Entwicklung bringt, wenn also das Material kommt, das die vielen Spulen hier erst zum Laufen bringt – das Original-Negativ. „Das ist heilig“, sagt Ulrich. Nicht auszudenken, was passierte, wenn ein Band jetzt verdorben würde. Der Regisseur müsste neu drehen. Deshalb wird der Film mit der Hand auf Schäden und Risse geprüft, bevor er durch die Entwicklungsmaschine läuft. „Das machen nur langjährige Entwickler“, sagt Ulrich.

Die Entwicklung hat sich seit den ersten Tagen kaum verändert. Nur die Maschinen sind besser geworden, schneller vor allem, und die Chemikalien sind andere. Ascorbinsäure, also handelsübliches Vitamin C, hat als Entwicklungsflüssigkeit das gefährliche Hydrochinon ersetzt. Es schwimmt in einem der vielen hohen Zylinder in der Entwicklungsmaschine, die das Zelluloid durchwandert, von Spulen nach unten und oben und wieder zur Seite, wie von unzähligen Flaschenzügen gelenkt.

Eigentlich ist es falsch, heute noch von Zelluloid zu sprechen. Der Kunststoff wird schon seit Jahrzehnten nicht mehr verwendet, obwohl er über 50 Jahre gute Dienste tat. 1869 von John Wesley Hyatt in den USA zur Produktion von Billardkugeln entwickelt, wurde Zelluloid für George Eastman, den Gründer von Kodak, die Basis zur Herstellung eines fotografischen Films. 1884 meldete er das Patent an. Doch die Nitrozellulose, so die exakte chemische Bezeichnung, war leicht entflammbar und führte immer wieder zu verheerenden Kinobränden. Auch bei Geyer brach deswegen 1917 ein Großfeuer aus, das einen beträchtlichen Teil des Filmlagers vernichtete. Anfang der 50er-Jahre löste deshalb der moderne Sicherheitsfilm den Nitrofilm ab. „Der kann nur verschmoren“, sagt Ulrich.

Cineasten geraten trotzdem noch heute über das alte Zelluloid ins Schwärmen. Nie mehr hätten die Bilder so edel geglänzt wie zu Stummfilmzeiten, nie wieder hätten Filmaufnahmen eine solche Tiefe besessen. Und sie beginnen schon wieder zu trauern. Denn die Digitalisierung hat die Filmbranche längst erfasst. Kaum ein Film kommt heute ohne Nachbearbeitung am Computer aus, und wenn es nur um die Retusche eines Mikrofonkabels geht, der Schnitt am Rechner ist Standard geworden. Doch noch immer wird am Ende jedes Bild auf Film kopiert – selbst der voll digitale Trickfilm. Aber das ist nur ein schwacher Trost. Der nächste Schritt ist nun die digitale Aufnahme, Speicherung und Vervielfältigung, und damit das Ende des klassischen Films.

In 10 bis 15 Jahren, sagen Experten, ist das elektronische Kino eingeführt, die deutsche Filmförderanstalt erwartet, dass Ende des kommenden Jahres die ersten Filmtheater auf digitale Projektoren umrüsten. Die Verleihbranche rechnet mit einem Einsparpotenzial von 90 Prozent. Dietmar Ulrich ist da natürlich skeptischer. „Noch gibt es keine Erfahrung mit der Lagerung und Archivierung der Datenträger. Vom Film wissen wir, er kann über hundert Jahre halten.“ Außerdem sehe man noch den Unterschied: „Das Zelluloidbild lebt mehr.“ Und dann sei da noch das Problem, dass digitalisierte Daten, die um die Welt gehen, bislang nicht wirksam vor Raubkopierern geschützt werden konnten. Nein, Ulrich ist sicher, Zelluloid hat noch eine Zukunft, mindestens als Aufnahmematerial.

Dass die Geschichte andere Wege gehen wird, ist im Kopierwerk allerdings zu spüren. In den Schnitträumen, wo nach den Vorgaben des Cutters der fertige Film zusammengesetzt wird, steht ein Schnittplatz neben dem anderen, Schreibtische mit kleinen Monitoren und Spulen, Spulen, Spulen. Es ist ein leerer Spulenwald. Nur drei Tische sind besetzt. Die Cinemedia rüstet um. Auf Digital. Im Hinterhof, in den Flachbauten, liegt das Digi Lab: Knöpfe und Regler statt Spulen, Rechner statt Maschinen, Server statt Filmdosen, bunte Sweatshirts statt weiße Kittel. Hier liegt die neue Welt. Es sind Paralleluniversen, sagt auch Anja Kuhweide. Sie ist die Geschäftsführerin der Post Production bei Cinemedia.

Die alte Welt blieb seit Jahrzehnten fast unverändert. Dort spürt man noch den alten Familienbetrieb, dort hat der Satz von Karl Geyer noch einen Nachhall auf den Fluren: „Das bohemehafte Niveau des Filmbetriebs ist dem Schaffen bei der Filmfertigbearbeitung in höchstem Grade abträglich.“ Dietmar Ulrich sagt einfach: „Wir sind ein Handwerksbetrieb.“ Sorgfalt geht vor, Kreativität sei eigentlich nur bei der Lichtbestimmung gefragt. Der Lichtbestimmer stellt die Farben im Film ein – mehr grau, wenn die Darsteller krank wirken sollen, etwas bräunlicher für die heile Welt. Alle Fassbinder-Filme haben hier ihre Optik bekommen, die meisten Streifen von Wim Wenders auch, erzählt Ulrich, während er durch dunkle Zellen führt, in denen nicht mehr als ein großes Pult Platz hat. Alle Türen stehen offen, niemand da, der Farben korrigiert.

Lichtbestimmung funktioniert längst digital. Um den dazugehörigen Computer im Digi Lab stehen Sofas und ein Couchtisch. Am Computermonitor sieht man sofort das Ergebnis. „Das ist die Zukunft“, sagt Anja Kuhweide. Die optische Trickabteilung ist deshalb schon geschlossen worden. Aber bei Geyer will man den sanften Übergang zur neuen Welt, den „soften Relaunch“, wie die Managerin das nennt. Noch werfe das Kerngeschäft, die Serienkopie, in Berlin das meiste Geld ab. Noch.

Damit das zumindest noch eine Weile so bleibt, wird bei Geyer streng auf Qualität geachtet. Bevor die Serienkopie das Werk verlässt, wird sie geprüft. Jede einzelne. Zwei Männer stehen in der Prüfabteilung, vor ihnen ein Monitor, über den die Bilder flitzen. Ständig wuchten die Männer neue Filmrollen auf die Spulen oder bringen gesichtete in die Auslieferung. Es erfordert Konzentration, weil man dabei die Bilder nur aus dem Augenwinkel im Blick haben kann. Die Männer sind wortkarg, also erklärt Dietmar Ulrich: „Der Film läuft hier rückwärts, mit zehnfacher Geschwindigkeit. Sie müssen auf mechanische Beschädigungen aufpassen. Auch die Farbe wird geprüft und ob Bild und Ton synchron laufen.“ Und das Flimmern vor den Augen? Geht es weg irgendwann? „Man braucht eine Weile“, sagt dann ein Prüfer, „fast ein Jahr. Am Anfang schaut man noch zu sehr in den Film rein.“ Handwerk eben.