Angst vor der Schließung

Wie billig darf Theater denn sein? Antje Vollmer lud zu einer Anhörung über „Die Zukunft der Berliner Theater“ in den Bundestag ein. Doch statt neuer Vorschläge wiederholten sich nur die alten Rituale

Das Theater ist der geborene Kommentator einer Spektakelgesellschaft

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Wachsender Erfolg der Theater und eine finanzielle Krise, die bis zur Existenzbedrohung oder Insolvenz führen kann, schließen sich nicht aus: Das war vielleicht die überraschendste Erkenntnis der 4. Anhörung zum Theater, zu der Antje Vollmer, kulturpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, am Mittwoch in den Bundestag eingeladen hatte. Diesmal ging es um die Zukunft der Theaterlandschaft in Berlin, die auf der einen Seite in den letzten Jahren einen großen produktiven Schub erfahren hat. Nicht nur die großen Häuser (Volksbühne, Berliner Ensemble, Schaubühne und Deutsches Theater) haben Auslastungszahlen über 80 Prozent und haben mit vielen Zusatzprogrammen, die ihr inhaltliches Profil stärker konturieren, ihr Angebot erhöht. Auch neue Gründungen wie die Sophiensäle (seit 1996) und die Hebbel am Ufer GmbH (seit 2003), die beide ohne Ensemble, mit minimalem Stab und vielen Projekten arbeiten, haben die Qualität des Theaters als öffentlicher Ort erweitert. Die inhaltliche Vielfalt der Theaterstadt Berlin ist in den letzten Jahren gewachsen – trotz Theaterschließungen.

Das ändert auf der anderen Seite aber nichts an der finanzpolitischen Misere, die von der Stadt mit ihrem Bankenskandal an die Theater wie auch an alle anderen Zuwendungsempfänger weitergereicht wird. Weil alle wissen, dass die Defizite des Haushalts nicht durch weitere Sparleistungen zu erbringen sind, geht die Angst vor weiteren Schließungen um, die als Möglichkeiten auch schon mal von Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin erwogen wurden. Vor diesem Hintergrund hatte Antje Vollmer die Anhörung mit den Fragen überschrieben: „Konkurrenz oder Reform? Event oder Ensemble?“ Vor allem die erste Frage klang ein wenig, als ob sie freiwillige Opfer für die Selbstaufgabe suche, die in Zukunft durch Verzicht auf Subventionen anderen das Überleben erleichtern.

Falsche Frage, lautete denn auch mehr oder weniger unverblümt die Antwort aller geladenen Intendanten und Theatermacher. Manche empörten sich dabei routiniert und mit großer polemischer Geste wie der BE-Chef Claus Peymann, der aus dem Fenster auf die Neubauten des Bundestages wies. Solange für diesen „monumentalen Käse“ Geld da sei, solange Milliarden repräsentativ verbaut oder in Bonn-Berlin-Flugtickets verflogen werden, lehnt er jede weitere Forderung nach Bescheidenheit an die Theater als unverschämt ab. „Hier manifestiert sich die feudale Denkungsart, die dem Theater vorgeworfen wird“, polterte er. Andere, wie Amelie Deufelhard, die künstlerische Leiterin der Sophiensäle, und Matthias Lilienthal, Intendant der Hebbel am Ufer GmbH, warfen der Politik Zynismus vor, wenn sie die selbstausbeuterischen und unsicheren Arbeitsbedingungen, die an ihren Häusern das Produzieren ermögliche, zum ökonomischen Gegenmodell erheben wollte.

Ob nicht durch Kooperationen oder Verbund von Werkstätten vorhandene Mittel effektiver genutzt werden könnten, bohrte Antje Vollmer immer wieder nach. Sie wollte eben gerne ein paar praxiskompatible Vorschläge mit in die Politik nehmen. Aber da hatte fast jedes Haus so seine Vorstellung, dass die hohe Motivation der Mitarbeiter, die weit über den tariflich vereinbarten Einsatz hinausgehe, zusammenbrechen würde, kämen verordnete Fremdaufträge dazu. Nur auf freiwilliger Basis und aus inhaltlicher Überzeugung sei es möglich, dass zum Beispiel die Werkstätten der Volksbühne oder der Schaubühne auch für freie Projekte genutzt werden.

Strukturelle Lösungsvorschläge brachte die Anhörung so kaum. Aber sie zeichnete eine Skizze über die veränderten Funktionen des Theaters und seine Segmentierung in unterschiedliche Szenen. Sein Konzept seit der Gründung 1969 fast unverändert beibehalten hat eigentlich nur das Grips Theater. Ganz nebenbei ließ Volker Ludwig, Grips-Gründer, Autor und Regisseur, einfließen, dass das strukturelle Defizit seines Hauses ungefähr der Summe des Intendantengehaltes von Peymann entspräche – ohne damit aber irgendwelche klassenkämpferischen Forderungen zu verbinden.

Während das BE und das Deutsche Theater auf ein bildungsbürgerliches Publikum in der Krise reagieren, zählt die Volksbühne zum Patchwork der sehr unterschiedlichen Gruppen, für die es sich zuständig fühlt, Banker, Professoren und „Leute, die am Ende“ sind. Carl Hegemann ist inzwischen der einzige Dramaturg der Volksbühne, die ehemals drei beschäftigte. Für volle Häuser könne Castorf mit links sorgen, sagte Hegemann, aber das sei nicht das Ziel. Sondern die Polarisierung, jede Erkenntnisform so weit auf die Spitze zu treiben, bis sich die Zuschauer in Empörte und Erleuchtete teilten. Hegemann redete über die Funktionsverluste des Theaters: Bedürfnisse des Voyeurismus oder der politischen Bildung können andere Medien inzwischen besser befriedigen. Als eigentliche Stärke des Theaters aber bleibe, nichtreproduzierbare und offene Situation herstellen zu können. Das vermisst er an anderen Theatern.

Hegemann skizzierte eine gegenläufige Entwicklung: Während das Theater einerseits marginal geworden ist in der gesellschaftlichen Repräsentation, läuft auf der anderen Seite eine Theatralisierung der Gesellschaft auf Hochtouren: „Die Welt simuliert das Theater und das Theater ist der geborene Kommentator einer Spektakelgesellschaft.“ Das als Auftrag anzunehmen, sieht er als die Zukunft des Theaters.

Für einen kurzen Moment entstand ein Streit zwischen Hegemann und Peymann, die ihren Häusern gegenseitig Affirmation des Bestehenden vorwarfen: Wer denn nun der wahre Aufklärer sei. Später gerieten sie noch mal darüber aneinander, wie billig man Karten machen dürfe. Tatsächlich kommt man, zum Leidwesen von Volker Ludwig, teilweise für weniger Geld in die Volksbühne und das BE als in das Grips Theater. So beruht der Erfolg der Theater teilweise darauf, ein Luxusgut ungeheuer günstig anzubieten. Da unterschätzt man schnell, was man an ihnen hat.