Nach dem Bruch

Vor zehn Jahren wurde in Südafrika frei gewählt: Mit den Arbeiten von 13 jungen Filmemachern widmet das Forum dem Land einen Schwerpunkt

Vielen Filmen ist eine Sehnsucht nach Normalität und Spaß anzumerken

VON MANFRED HERMES

Im April 1994 wurde in Südafrika zum ersten Mal allgemein und frei gewählt. Das zehnjährige Jubiläum dieses Triumphs bietet in diesem Jahr daher den Anlass für einen Südafrika-Schwerpunkt, dessen Hauptfeierlichkeiten vor allem im Forum stattfinden. Die Programmierung wurde durch das vom südafrikanischen Sender SABC aufgelegte „Project 10 – Real Stories from a Free South Africa“ erleichtert: 13 Nahaufnahmen junger Filmemacher.

Was hat die Befreiung vom rassistischen Regime konkret gebracht? Die Antwort ist deutlich: Normalität, gute Laune und Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg. Es werden Geschichten der Modernisierung erzählt und die Möglichkeiten neuer gesellschaftlicher Zugänge dokumentiert: „Solly’s Story“ von Asivhanzhi Mathaba zeigt etwa einen jungen Mann, der das Nachwuchsteam der nationalen Fußballmannschaft mittrainiert. Rudzani Dzugudas „Mix“ porträtiert ein Mädchen, das in der HipHop-Szene als DJ arbeitet und damit zu Hause einen Konflikt der Lebensmodelle provoziert.

Seit der große Bruch beseitigt ist, haben sich die Differenzen, Risse und Wunden in die individuellen sozialen Beziehungen verlagert. Neue Mittelklassen haben sich formiert oder die Familien in Generationen der vor und nach 1994 sozialisierten Mitglieder getrennt. In „With My Children“ von Khulile Nxumalo steht die Mutter allerdings ganz auf der Seite ihres Sohnes. Der arbeitet bei Microsoft und hat das Denken in neoliberalen Gewissheiten komplett verinnerlicht. Es hat sich gelohnt: Dicke Autos stehen vor einem geräumigen Haus. Und sein arbeits- und antriebsloser Bruder gilt ihm als tägliche Warnung.

In „Hot Wax“ porträtiert Andrea Spitz Ivy Mahlangu eine resolute bitch, die bereits zu Zeiten der Apartheid einem Bürgertum der aufgespritzten Lippen die Füße gepflegt hat. Die Nettheit ist hier vielleicht schon etwas zu nett, aber letztlich wohl auch in diesem Fall das Zeichen einer gelungenen Transformation. Eine Sehnsucht nach Normalität und Spaß ist vielen Filmen anzumerken.

Gisela Albrechts und Angela Mai „Memories Of Rain“ beschäftigt sich dagegen sehr direkt mit der jüngeren Vergangenheit. Aus Interviews mit den ehemaligen ANC-Kämpfern Jenny Cargill und Kevin Qhobosheane entsteht eine Oral History der letzten Jahrzehnte. 1976 traten Schülerstreiks eine Terrorwelle des Staates los. Die Ereignisse von Soweto politisierten weite Teile der Bevölkerung. Kevin Qhobosheane schließt sich mit fünfzehn dem ANC an, und auch Jenny Cargills Schuldgefühl sucht nach effektiveren Waffen. Als weiße Akademikerin hat sie es im ANC nicht leicht, geht aber trotzdem in den Untergrund, einschließlich Militärausbildung in Ostberlin. 1990 wird der ANC legalisiert. Die Untergrundzellen bleiben aktiv, sind nun aber auf sich selbst gestellt. Die Kultur des Verdachts und der Täuschung schlägt zurück, die Isolation wirft zudem die Frage nach dem Sinn des bewaffneten Kampfes auf.

Differenzen, Risse und Wunden haben sich in die individuellen Beziehungen verlagert

So sehr „Memories“ auch versucht sowohl der schwarzen als auch der weißen Perspektive gerecht zu werden, mit ihrem weichen Englisch wird er von Cargills Erzählungen dominiert. Ziemlich nüchtern blickt sie sowohl auf ihre damalige Rolle als Kampfgefährten Thabo Mbekis als auch auf das – von der WTO in die Zange genommene – Südafrika von heute. Aber der Film trägt seinen Titel nicht umsonst – der Regen wird als reinigende Kraft verstanden.

Auch in „Proteus“ von John Greyson und Jack Lewis (Panorama) spielen Naturmetaphern eine zentrale Rolle. Der südafrikanisch-kanadische Spielfilm ist – wie das Wappen der Republik Südafrika – um die Pflanze Protea herum entworfen. Greyson/ Lewis sind in Gerichtsakten des frühen 18. Jahrhunderts eingestiegen. Sklaven und Herren, gleichgeschlechtliches Begehren und Naturwissenschaft, camp und Camp kommt auf der Gefängnisinsel Robben Island zusammen. Der Sklave und der holländische Matrose gehen eine allseits missbilligte Verbindung ein. Der englische Botaniker Virgil Niven sieht es mit Interesse und ist ansonsten mit der Taxonomie der südafrikanischen Flora beschäftigt. Zwei Todesstrafen wegen „Sodomie“ werden verhängt, Virgil die fachliche Anerkennung versagt. „Proteus“ lebt nicht zuletzt von seinen visuellen Exquisitheiten, steht als Historienfilm allerdings jenseits von Gemütlichkeit.

Durch das Einstreuen moderner Gegenstände wird eine Distanz gewahrt, die selbst sonnige Kolonialstädte zeitgenössisch hart wirken lässt. Der internationale Stil der klassizistischen Verwaltungsbauten ist gut als Disziplinierungsarchitektur zu erkennen. In dieser Beziehung hat sich also erst mal nichts geändert.