Lost in Tokyo

Weg vom Menschen, hin zur Kunst: In dem düsteren Atmosphärenthriller „The Stratosphere Girl“ (Panorama) von M. X. Oberg ist der Manga das Ziel

VON PHILIPP BÜHLER

Wollte man sich ein klassisches Mangagirl in echt ausmalen, sähe es vermutlich aus wie Angela. Ein hybrides Ätherwesen, dünn wie ein Strich, weiß wie der Schnee, ohne erkennbare Gefühlsregungen. Große Augen, in denen sich beizeiten glitzernde Tränenseen bilden könnten, braucht sie nicht. Und sie bekommt sie auch nicht. Obwohl es in Japan einiges zu bestaunen gibt. Nicht nur Mangas.

Angela (Chloé Winkel) liebt die bunten Bilder, sie zeichnet sie selbst, und um eine seelische Verbindung zu deren Ursprung zu finden, ist sie nach Japan gereist. Als wäre es eine unausweichliche Verschmelzung mit ihrer Kunst, Ware bleibt Ware, stößt sie zu einem Hostessenservice. In den streng abgeschirmten Plüschklubs Tokyos vergnügen sich reiche Japaner mit europäischen Schönheiten, und Angela wird eine davon. Sie zieht mächtigen Männern das Geld aus der Tasche und blickt hinter ihre geheimsten Obsessionen. Es ist keine schöne Welt, in die sie hier eintaucht. Aber ihr Skizzenbuch beginnt sich zu füllen.

Der deutsche Regisseur hat M. X. Oberg mit mutigem Strich ein Bedrohungsszenario geschaffen, dessen düsterer Faszination man sich kaum entziehen kann. Richtig unheimlich wird Angelas Situation, als sie auf die Spuren einer Verschwundenen aufmerksam wird. Vertuschen ihre Kolleginnen einen Mord? Wo sie doch eigentlich Konkurrentinnen sind? Angst kennt sie nicht, aber fest steht auch, dass sie und ihresgleichen den Untiefen dieser fremden Gesellschaft schutzlos ausgeliefert sind. Die Fäden zieht im Hintergrund übrigens ein fetter Europäer namens Kruilman (Filip Peeters).

„The Stratosphere Girl“ ist ein seltsam schwereloser und auch bodenloser Atmosphärenthriller, der in der Stille der Nacht nach dem sucht, was Fremdsein bedeutet. In düsteren Kellern und in den hoch gelegenen Luxussuiten Tokios scheint die Zeit stillzustehen, während sich die Welt in wahnsinnigem Tempo weiterdreht.

Am merkwürdigsten sind dabei zwei Dinge. Zum einen die traumwandlerische Sicherheit, mit der sich Angela in dieser mysteriösen Halbwelt bewegt und mit ihr die Kamera auf ihrer ständigen Suche nach Zeichen und Bedeutung. Zum anderen der Eindruck, dass hier kurz nach dem Qualitätsschock von „Lost in Translation“ ein deutscher Film Ähnliches versucht – und über weite Strecken überzeugt.

Aber Oberg will im Grunde etwas ganz anderes als Sofia Coppola. Die Bewegung geht weg vom Menschen hin zur Kunst, nicht umgekehrt. Der Manga, den Angela aus dem Erlebten zeichnet, ist das Ziel. Er vermischt sich mit der Handlung und presst sie in seinen Rahmen: ein rein visuelles Vorgehen.

Die Hauptfigur bleibt dabei ganz im Sinne des Animes flach, anorganisch, sperrig. Daran muss man sich ebenso gewöhnen wie an ihr mehrfach gebrochenes Euro-Englisch, bekannt aus den Jugendherbergen dieser Welt, ein Slang, den der Regisseur mit eisernem Stilwillen durchhält. Nicht einmal eine eigene Sprache hat das arme Stratosphärenmädchen. Es ist wirklich bewundernswert.

Heute 21.30 Uhr, Zoo Palast; morgen 14 Uhr, Cinemaxx 7