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Die Multiplexe stolpern finanziell angeschlagen durch die norddeutsche Kinolandschaft. In Delmenhorst bei Bremen wird jetzt ein neues Rettungsmodell erprobt: Die Übernahme von unten

Delmenhorst: Ein Pilotprojekt für die Aufteilung des Kinomarktes in kleine Hoheitsgebiete„Lokale Betreiber haben das Ohr näher am Puls der Zeit“ – und am Publikum

„Cinemaxx“ ohne „Cine“ – und schon läuft der Laden. Jedenfalls in Delmenhorst. Am 1. Oktober letzten Jahres gab es einen fliegenden Pächterwechsel für das dortige Multiplex der Hamburger Kinokette. Manfred Brocki, Chef der Bremer Filmkunsttheater Schauburg, Gondel, Atlantis, und Bettina Münzer, Betreiberin des Delmenhorster Lichtspielhauses, Gloria und der Passage, ließen die „Cine“-Silben aus dem Schriftzug entfernen, polierten den Kinokomplex als Maxx imagemäßig auf und führten ihn ökonomisch auf die Erfolgsspur.

Habe das Cinemaxx im Jahr 2002 weit unter 10.000 Besucher monatlich gehabt, seien bereits im Monat der Übernahme 15.000 zahlende Gäste erschienen, freut sich Brocki. 20.000 seien es im November, 29.000 im Dezember 2003 gewesen. Nun rechne man für 2004 mit 230.000 Zuschauern. So könne mit dem Multiplex erstmals Geld verdient werden.

Dem Vernehmen nach hat das Haus zuvor jährlich ein Minus von einer Million Euro erwirtschaftet. Sieben Säle mit 1.500 Plätzen sind in einem Ort von 80.000 Einwohnern einfach zu viel. Weil es zudem im Umkreis von 50 Kilometern auch noch die Cinemaxx in Oldenburg und Bremen gibt. Unternehmenssprecher Arne Schmidt erklärt, dass die Delmenhorster Verträge bereits 1998, in der Multiplex-Boomzeit, unterschrieben worden waren. Dann habe man das Projekt nicht mehr stoppen können.

Der Großkino-Standort sei damals von einem Investor mit dem Hinweis angeboten worden, wenn die Cinemaxx AG verzichte, würde man der Cinestar-Konkurrenz der Lübecker Kieft-Gruppe den Zuschlag erteilen. In der Hoffnung auf regionale Marktführerschaft, so Schmidt, habe man damals zugesagt. Seit der Eröffnung im Oktober 2001 versucht die Cinemaxx AG das Objekt wieder abzustoßen.

2003 geriet die Firmenbilanz derart in Schieflage, dass es drängte. Bis Mitte des Jahres ging die Besucherzahl der deutschen Cinemaxxe um 13, der Umsatz um 10 Prozent zurück, das Konzerneigenkapital belief sich auf minus 17,7 Millionen Euro, die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten lagen bei 26,7 Millionen Euro. Die zwischenzeitliche Übernahme der Ufa-Kinos hatte einen dicken 9-Millionen-Verlust beschert. Laut Geschäftsbericht konnte die Liquidität nur erhalten werden, da Grundstücke und Inventar verkauft, Mieten gestundet, Standorte aufgegeben wurden.

Die neue Unternehmenspraxis lautet: statt sich in Konkurrenzsituationen zu ruinieren (Preisdumping, Kampf um die publikumsträchtigsten Filme), sind Monopolstellungen anzustreben. So hat die Cinemaxx AG in Göttingen und Wolfsburg alle traditionellen Kinos, in Halle gleich das Multiplex des Konkurrenten übernommen, um die Abspielstätten unter eigener Leitung zu koordinieren – also in Filmkunst- und Mainstream-Häuser aufzuteilen.

Andererseits hat man in Hamm, Darmstadt und gerade auch in Mannheim das eigene Multiplex an die lokalen Kinobetreiber abgetreten. Wie auch in Delmenhorst. Und zwar mit der Folge, dass alle anderen Abspielstätten vor Ort geschlossen wurden. Bettina Münzer ist noch heute „sehr traurig“, dass die in Familienbesitz befindlichen Kinos Gloria (1954 erbaut) und Lichtspielhaus geopfert werden mussten, um jetzt das Multiplex rentabel zu führen. Das „Lichtspielhaus“ war noch 1911 von ihrer Urgroßmutter eröffnet worden. Das Personal sei, so Brocki, ins Maxx übernommen worden. Dort arbeiteten jetzt acht ehemalige Münzer-, 20 ehemalige Cinemaxx-Angestellte.

Und wie erklärt sich der aktuelle Publikumserfolg? „Lokale Betreiber haben das Ohr näher am Puls der Zeit, können flexibel auf die örtliche Anbindung des Kinos hinarbeiten“, erklärt Arne „Cinemaxx“ Schmidt. So steht auch Brocki einmal die Woche als Kartenabreißer im Maxx, um dem Kinovolk aufs Maul zu schauen. Warum das Cinemaxx Delmenhorst gescheitert sei, erläutert Brocki so: „Cinemaxx-Leiter sind ferngesteuert, müssen kompetenzlos einen unpersönlichen Massenbetrieb führen. Außerdem wird das Programm steril nach einem Blockbuster-Schema gestaltet.“ Im Maxx sei das alles anders.

Beispielsweise: Rückkehr zum „Servicekino“. Dem entsprechend wird nun umgebaut: jeder zweite Stuhl raus, Tische und Lämpchen aus dem Lichtspielhaus rein. Rauchen, essen, trinken – alles erlaubt.

Weitere Neuerung: der Durchschnittspreis wurde zwar erhöht, das Aktionskuddelmuddel bei den Tickets aber stark vereinfacht. Für die Angebotsvielfalt wird das Maxx 5 zum Arthouse erklärt, werden Dokumentarfilmwochen und kleine Festivals durchgeführt, Premieren inszeniert – und auch die regionale Filmszene präsentiert.

In jedem Fall ist das ganze Unternehmen auch ein Gewinn für das Einkaufszentrum, in dem das ehemalige Cinemaxx liegt. Bisher stand es ziemlich leer, jetzt haben sich jetzt im Maxx-Umkreis eine Bar, eine Bierkneipe und ein chinesisches Lokal angesiedelt. „Der Ort ist wieder in“, sagt Brocki. Und freut sich, dass das Maxx Delmenhorst „als Pilotprojekt sehr genau von Verleihern, Kinobetreibern und vor allem auch der Cinemaxx AG betrachtet wird“.

Pilotprojekt für das Ende der Konkurrenz und die Aufteilung des Marktes in kleine Hoheitsgebiete? Noch wartet die Cinemaxx AG ab und will, laut Schmidt, „die restlichen 35 Multiplexe behalten“, mit denen ein Marktanteil von etwa 25 Prozent in Deutschland gehalten werde.

Jens Fischer