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Was totgeschwiegen wird: Die „Initiative Nachrichtenaufklärung“ hat die „Top Ten 2003“ der in Deutschland vernachlässigten Themen ermittelt

aus Dortmund MIRIAM BUNJES

Anfang 2003 wollte Daimler Chrysler unbedingt Armeefahrzeuge für die ghanaische Armee produzieren. Dafür bestach der deutsche Konzern erfolgreich mehrere Offiziere. Als das Ganze aufflog, musste die ghanaische Regierung die gesamte militärische Führungsspitze austauschen. Die weiße Weste des Automobilkonzerns bleibt trotzdem unbefleckt: Kein einziges deutsches Medium hat über den Vorgang berichtet. „Die meisten Korruptionsfälle aus dem Ausland kennt hier kein Mensch“, sagt Horst Pöttker, Geschäftsführer der Initiative Nachrichten-Aufklärung der Universität Dortmund. Auf dem weltweiten Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International steht Deutschland inzwischen auf Platz 16. Bestochen wird vor allem im Ausland. Und da es weder ein bundesweites Zentralregister auffälliger Unternehmen noch eine rechtliche Absicherung von Informanten gibt, kommt die zum Teil spektakuläre Korruption deutscher Großunternehmen nie ans Licht. Deshalb ist für die Initiative Nachrichtenaufklärung das Thema Korruption diesmal Top 1 der vernachlässigten Themen aus dem Jahr 2003.

Ein deutscher Ghana-Reisender entdeckte den Bericht über DaimlerChrysler in der ghanaischen Zeitung Accra Mail und schickte ihn an die Initiative. „So entstehen alle unsere Themen“, sagt Horst Pöttker, der das Projekt seit zwei Jahren koordiniert. 120 Themen analysierten die Journalisten, Wissenschaftler und Journalistikstudierenden für 2003, um jetzt die Top Ten der verschwiegenen Nachrichten präsentieren zu können.

Im höchsten Maße unzureichend ist auch die Berichterstattung über die Machtverlagerung nach Brüssel, entschied die 14-köpfige Jury, in der auch renommierte investigative Journalisten wie Hans Leyendecker vom „Netzwerk Recherch“ von der Süddeutschen Zeitung. „Inzwischen wird über die Hälfte der Gesetzgebung in deutschen Parlamenten aus Brüssel vorbestimmt“, sagt Jury-Mitglied Christiane Schultzki-Haddouti. „Und diese Entscheidungsstrukturen werden kaum transparent gemacht.“

Abgesehen von Arte beschäftigen sich allerhöchstens drei Prozent der wichtigsten Fernsehnachrichten überhaupt mit der Europäischen Union, fanden die RechercheurInnen heraus. Und auch bei den überregionalen Tageszeitungen liegt die Quote nur unwesentlich höher. Warum trotzdem so wenige Medien darüber berichten, bereitet der Initiative viel Kopfzerbrechen. „Europa bestimmt den öffentlichen Diskurs noch nicht. Deshalb glauben die Medienmacher, ihr Publikum damit zu langweilen“, vermutet der Journalistikprofessor Horst Pöttker.

Aber auch der öffentliche Diskurs über ein Thema bedeutet nicht, dass alle relevanten Seiten ans Licht kommen. Über das Thema Hochwasser beispielsweise wurde im vergangenen Jahr tausendfach berichtet. Trotzdem steht die mangelnde Hochwassersicherheit von Chemieanlagen an dritter Stelle der vernachlässigten Themen. „Die geltenden Standards von Chemieanlagen stammen zum Teil aus den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts“, sagt Pöttker.

Dass nur wenige JournalistInnen über diesen skandalösen Zustand berichteten, liegt vor allem an den Firmen, glaubt Pöttker: „Da wird gemauert und auch schon mal die Macht eines Anzeigenkunden ausgespielt“, sagt der Professor. Solche Zustände kann die Initiative Nachrichtenaufklärung natürlich nicht ändern. „Aber wir können den Kolleginnen und Kollegen mit unserer Liste einen Anstoß geben, sich diesen Themen einmal ausführlich zu widmen.“