Gewissensfreiheit in der Kopftuchfrage

Die französische Nationalversammlung beendet ihre Debatte und verabschiedet heute den Gesetzentwurf

PARIS taz ■ „Über das Tragen von religiösen Zeichen an der Schule“ lautet der Titel des Gesetzentwurfs. Heute Nachmittag wird er in der französischen Nationalversammlung aller Voraussicht nach eine selten breite Unterstützung finden. Sowohl im rechten als auch im linken Lager wollen die meisten Abgeordneten zustimmen. In beiden Lagern wird es zugleich vereinzelt Gegenstimmen geben. Und selbst bei jenen politischen Gruppen, wie den KommunistInnen, die das „Kopftuchgesetz“ als „falsche Antwort auf ein echtes Problem“ bezeichnet haben, wird es ein durchwachsenes Abstimmungsverhalten geben. Denn in der Kopftuchfrage gilt fraktionsübergreifend die Gewissensfreiheit.

In der vergangenen Woche haben sich 120 RednerInnen – ein Viertel aller Abgeordneten – zu Wort gemeldet. Ihre Debatte dauerte 21,5 Stunden und bot Gelegenheit für zahlreiche republikanische Grundsatzappelle. Fast alle Abgeordneten dürften heute, wenn der Streit über das Stück Stoff erst einmal vorbei ist, ein großes „Uff“ ausstoßen.

Das Ergebnis der konsensorientierten Debatte ist ein kleines Gesetz mit vier knappen Artikelchen. Sie legen fest, dass sämtliche „ostentativen religiösen Zeichen“ an der staatlichen Schule verboten sind. Dass vor einem etwaigen Schulausschluss wegen religiöser Symbole ein „Dialog“ stattfinden muss. Dass das Verbot mit Beginn des nächsten Schuljahres in Kraft tritt. Und dass seine Wirkung nach Ablauf eines Jahres überprüft werden soll. Alles Weitere obliegt nun der zweiten parlamentarischen Kammer – dem Senat.

Das Kopftuch selbst, das seit Ende der 80er-Jahre immer wieder für Konflikte am Schultor sorgt und über dessen Zulässigkeit letztlich die Direktoren nach eigenem Ermessen entscheiden müssen, kommt in dem Gesetzentwurf nicht vor. Schließlich soll das Verbot für die AnhängerInnen aller Glaubensrichtungen gelten. Genau wie alle Regeln des Laizismus.

Dass LehrerInnen und andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Frankreich keine religiösen Zeichen tragen dürfen, versteht sich von selbst. Der Laizismus – der auch Neutralität des öffentlichen Dienstes bedeutet – hat Verfassungsrang. Im Fall der jetzigen Debatte geht es vor allem um die SchülerInnen. Zu ihrer zumindest formalen Gleichheit vor der Bildung hatten die Republikaner religiöse Symbole an der Schule verboten. Ihre Argumente sind auch in der hitzigen Debatte der vergangenen Wochen immer wieder gefallen.

Ab kommenden Herbst dürfen die SchülerInnen der staatlichen Schulen nur noch kleine Fatimahände und diskrete Kreuze tragen. Kopftücher, Kipas und große Kreuze können im Extremfall zum Schulausschluss führen.

Eine hochkarätig besetzte ExpertInnenkommission unter Leitung von Bernard Stasi hatte das Gesetz vorgeschlagen, um den Streit an den Schultoren zu beenden. Unter anderem haben zahlreiche SozialarbeiterInnen und LehrerInnen, aber auch junge Mädchen aus dem Einwanderermilieu der „Stasi-Kommission“ vorgetragen, dass sie ein Gesetz „brauchen“. Andernfalls, so ein vielfach wiederholtes Argument, würde gerade in den Vorstädten der Druck der Tradition auf junge Mädchen immer stärker werden. DOROTHEA HAHN

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