Von These zu These

Der israelische Filmemacher Udi Aloni unterhielt sich mit Slavoj Žižek, dem Maschinengewehr der Postmoderne

Slavoj Žižek ist eine Schau. Während er redet, zupft er sich mit links alle zwei Sekunden am Hemdkragen. Zwischendurch wechseln sich bei derselben Hand noch selbstanfeuernde wie abwehrende Gesten ab, während sein Mund Sätze zu Realität und Fiktion, Stalin und Hitchcock, Religion und Aufklärung hämmert. Ein Stand-up-Comedian des Diskurses. Das Maschinengewehr der Postmoderne. Thesen kann der slowenische Intellektuelle auf Knopfdruck produzieren – Mikro in die Hand, los geht’s.

Noch erstaunlicher ist nur die Dynamik, die Žižek auf so einem Podium entfalten kann. Eine Beobachtung und eine These und die Einordnung dieser These in das Mosaik globaler diskursiver Ansätze scheinen bei Žižek stets in eins zu fallen. Das Ergebnis beim Sprechen sind eine überragend hohe Anzahl von Wörtern pro Sekunde und der Eindruck großer Leidenschaftlichkeit. Im Rahmen des Talent Campus trat Žižek auf einem Podium zum Verhältnis von Filmemachen und Politik auf. „Let’s get passionate about film“ lautet das Motto des Campus. In puncto Leidenschaftlichkeit war man da bei Žižek auf der sicheren Seite.

Bei Udi Aloni auch, aber auf ganz andere Weise. Aloni ist ein israelischer Filmemacher, der in New York lebt. Auf der letztjährigen Berlinale hat sein Film „Local Angel“ für Aufsehen gesorgt, weil er in einer Szene Jassir Arafat um Verzeihung für die israelische Besetzung Palästinas bittet. Slavoj Žižek spielte auf dem Podium die Rolle desjenigen, der alle traditionellen Antworten zum Verhältnis von Politik und Film beiseite räumte (die politischen Filme Hollywoods bezeichnete er als Sidney-Pollack-Industrie). Udi Aloni dagegen sollte sich und seinen eigenen Ansatz erklären. Er tat es mit Selbstanklagen als Israeli; die Kritik an Scharon gab die große Erzählung ab, mit der Aloni – im Film wie auf dem Podium – Diskussionen mit seiner im Zweifel doch zionistischen Mutter, Walter-Benjamin-Eskursionen sowie jüdisch-arabischen HipHop-Kooperationen einrahmen konnte.

Die Leidenschaft Alonis resultiert aus einem ganz spezifischen Antrieb: Aloni treibt das schlechte Gewissen um, auf der bequemeren Seite des israelisch-palästinensischen Konfliktes geboren zu sein; er ringt damit, wie man in einer solchen Situation ein anständiger Linker und Filmemacher sein kann. Er müsse, sagte Aloni, sich für die Befreiung der Palästinenser einsetzen, damit er wieder stolz sein könne, ein Israeli zu sein. Im Publikum saßen derweil junge Filmemacher aus aller Welt. Wie sie mit ihrer jeweils besonderen Situation vom Ansatz Alonis profitieren könnten, war nicht die Frage. Schade. Film lokal, denke diskursiv – so könnte man das Ergebnis des Podiums zusammenfassen. Letztlich kommt es aber wohl auf den einzelnen Film an, der dabei herauskommt.

In einer Situation redeten Slavoj Žižek und Udi Aloni auch tatsächlich miteinander. Das war nach der Vorführung einer Szene, in der Aloni mit seiner Mutter in einem Auto sitzt und sie weitere Diskussionen über ein Rückkehrrecht der Palästinenser einfach abschneidet. Ein authentischer Moment, so Aloni. Nein, ein zutiefst fiktives Modell, so Žižek, es folge unterschwellig und von seiner ganzen Ausrichtung her Shakespeare: Hamlet im Gespräch mit seiner Mutter. Vielleicht ist ja überhaupt Alonis ganzer künstlerischer Ansatz gar nicht so authentisch, wie er offenbar denkt, sondern Ausdruck fiktiver Künstlermodelle? Bevor er sich dieser Frage widmen konnte, war Slavoj Žižek schon wieder bei einer anderen These.