Einsatz im Körper

Narzissmus bei Todd Verow, schwuler Historismus bei John Greyson und Rodney Evans und Übertretungskitsch bei Wiktor Grodecki. Ein Überblick über die schwullesbischen Filme der Berlinale

VON MANFRED HERMES

Der Einsatz des eigenen Körpers als die Bedingung für andere Sichtbarkeiten – zwischen Kenneth Angers „Fireworks“ und den Filmen von Bruce LaBruce dürfte dies die Dominante homosexueller Selbstbeschreibung gewesen sein. Seitdem der lückenlose Exhibitionist für die neuen Verteilungsdramen des Fernsehens herbeigenötigt wird, ist dieses Modell deutlich entwertet.

Selbst ein so hinreißender Selbstdarsteller wie Bruce LaBruce hat sich folglich aus seinen eigenen Filmen zurückgenommen. Im knalligen „The Raspberry Reich“ feuert er dafür ungewollte Breitseiten gegen die Pläne zur Berliner RAF-Ausstellung ab. LaBruce’ Pornologie zieht den Schluss, dass die RAF-Geschichte heute nur noch als Schwulenporno zu haben ist.

In „Anonymous“ geht Todd Verow dagegen noch einmal den Weg zurück zum eigenen Fleisch. Als Regisseur, Ich-Erzähler und Hauptdarsteller lässt er die Hosen fallen und sich gern und oft benutzen. Diese Geschichte eines sexbesessenen Kinomanagers scheint vor Narzissmus zu stinken, doch dann schlägt die Wirkung um und Verows linkisch-submissiver Held wird völlig plausibel.

Aus der einst recht krachigen Berliner Abfall-, Körper- und Selbstdarstellungskultur ist Michael Brynntrup als dauerhafteste Figur hervorgegangen. In „E.K.G. Expositus“ hat er sich nun einen Wurf in Spielfilmlänge gegönnt, der seiner Vorliebe für kleine Sprachspiele und niedlichen Slapstick treu bleibt. Dazu hat er aus früheren Filmen exzerpiert und das Tagebuch eines abwechslungsreichen Lebens plus Rahmenhandlung erstellt. Die Öffentlichkeit zwingt ihn zu tun, was er ohnehin am liebsten macht: sich in der eigenen Wohnung filmen.

Filme wie John Greysons „Proteus“ und „Brother to Brother“ von Rodney Evans gehören dagegen einem geschichtsbewussten Genre an. Die Homosexualität wird hier zum fehlenden Glied in allen möglichen Ketten. Dieser Historismus ist kein ganz neues Konzept, wirft aber immer wieder schöne Resultate ab.

Ein Kunststudent muss erkennen, dass die Darstellung der politischen Kämpfe der Schwarzen an seiner Schule am liebsten ohne den Anteil der Homosexuellen auskommen würde. In seiner Nachbarschaft lebt ein älterer Mann, dessen Liebe zur Sprache sich etwas gezierter als die zeitgenössische Lyrik ausdrückt. Das ist kein Wunder, denn er heißt Bruce Nugent und war neben Langston Hughes, Zora Neale Hurston und Wallace Thurman der Hauptvertreter der Harlem Renaissance. In Rückblenden wird eine Zwanziger Jahre-Boheme mit ihren Sexpartys, Kunstprojekten und Spitzzüngigkeiten aufgerufen. Ohne große Umstände bringt Rodney Evans seine diversen Quellen mit Originalmaterial Harlemer Straßenszenen und Dokus über die staatlichen Kunstprogramme des New Deal zusammen. Das Bild einer Essenz von Community und Identität entsteht, die über die Generationen hinweg funktioniert und sich über Kunst vermittelt.

Da geht es in Miguel Albaladejos „Cachorro“ etwas bürgerlicher zu. Ein schwuler Zahnarzt nimmt den pubertierenden Sohn seiner Schwester während des Urlaubs auf. Er zieht sich aus seiner Szene zurück und imaginiert sich als verantwortlicher Vater. Das Arrangement wird dauerhaft, als die Mutter wegen Drogenbesitzes in Asien inhaftiert wird. Eine böse Schwiegermutter bringt Bewegung ins Spiel, wobei eine Aids-Infektion weiteren Sprengstoff bietet. „Cachorro“ legt viel Wert auf die Feststellung, dass ein von einem Schwulen erzogener Junge auf keinen Fall schwul werden wird. Dabei zeigt Albaladejo eine großes Interesse an sentimentalen Situationen und entspannte Figurenkonstellationen.

Davon hätte sich die polnisch-tschechische Koproduktion „Neinasycenie“ etwas abschneiden können. Hat sich Wiktor Grodecki schon in „Not Angels But Angels“, einem Film über die Prager Männerprostitution, als uninspirierter Zyniker beweisen wollen, so dreht er nun vollends ab. Hier ist ein Temperament am Werk, das sich in der Idee gefällt, hier ginge es um was. Grölende Verzweiflung, ein bisschen Homo als Übertretungskitsch und Polen als Exzesswelt irgendwo zwischen den Jahrzehnten und vor dem geopolitischen Horizont einer großen Chinesen-Invasion.

Da hat man in islamisch geprägten Ländern ganz andere Probleme. In „Juste une femme“ hatte Mitra Farahani einen in Teheran lebenden Transsexuellen porträtiert. In „Zohre & Manouchehr“ geht sie weiter und stellt Männern, Frauen und Vertretern des Klerus Fragen zu Sexualität und Moral. Das geschieht vor dem Hintergrund einer einst hoch entwickelten erotischen Kultur, die durch einen religiösen Faschismus in Grund und Boden getrampelt wurde. In einem Land, in dem es so viele Lieben gibt, deren Namen man nicht auszusprechen wagt, ist das die wahre Dissidenz, und sie ist nicht ungefährlich.