Ist das nicht mehr unser Bier?

Geht es dem Bier in Deutschland wie dem Pop? Es muss nicht nur gegen Umsatzrückgänge kämpfen, sondern auch gegen einen Schwund der Definitionsmacht in der Alltagskultur. Die Branche umschwärmt verstärkt auch Minderjährige. Doch der jugendliche Alkoholeinsteiger hat Alternativen

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Den Deutschen ist James Bond auf dem Rücksitz eines VW Käfers begegnet. Irgendwo in der fränkischen Provinz, vielleicht gar nicht einmal weit von Kulmbach entfernt. Die Deutschen begegneten Roger Moore mit jägergrünem Filzhut und im üppigen Wirtschaftswunderkörper. In der Hand die Wurst und das Bier. Ein Kulturschock für einen, der seinen Martini gerührt, nicht geschüttelt zu sich nimmt.

Es war der James-Bond-Streifen „Octopussy“, indem ein weltweites Kinopublikum diesem Klischee in die offenen Arme lief. Einem Klischee, das einer Nation einmal so fest anhaftete wie der Bügelverschluss jener Bierflasche in jenem VW Käfer.

Die Nation tat alles, um diesen Fremdzuschreibungen so nahe wie möglich zu sein. 1982 etwa, in den goldigen Zeiten des goldgelben Alkoholgetränks, bescherte jedem Bayern 230 Liter Gerstensaft. Mit einem Durchschnittsdurst von immerhin noch 150 Litern war die Bundesrepublik auch weltweit Spitze. Wobei sich, wer hätte das gedacht, vor allem die Friesen und die Berliner in merklicher Zurückhaltung übten.

Die Bierindustrie hat dieser Tage andere Sorgen. Nicht nur, weil inzwischen die Tschechen die weltweit eifrigsten Bierkonsumenten sind. Zwar hatten sich Wellness-Wellen und Genussmittel-Globalisierung am Biermarkt schon lange bemerkbar gemacht. Doch den sukzessiven Verschiebungen von einst stehen inzwischen manifeste Umbrüche gegenüber. Droht dem Bier demnach gerade, was etwa auch die Popmusik dieser Tage erlebt? Einen Schwund der Definitionsmacht in unserer Alltagskultur?

Was aber haben Biertrinken und Popmusik – außer dem Budweiser-Shirt des jungen Bruce Springsteen und der gemeinsamen Liebe zum Exzess – überhaupt gemeinsam? Beides sind Kulturtechniken, die sozial und kulturell gelernt sein wollen. Die eine über die Plattensammlung des großen Bruders. Die andere über den Kasten Bier, den der C-Jugend-Trainer den 14-jährigen Kickern nach dem Training spendiert. Denn der erste Kontakt mit dem Bier gehorchte lange eingespielten Initiationsriten. Er folgte, wie es der Nahrungsethnologe Gunther Hirschfelder formuliert, „spezifischen Kulturmustern, die sozial akzeptiert waren.“

Im Vereinsheim oder im Kirmeszelt ist der Alkoholkonsum von Jugendlichen nicht nur geduldet, auch der Rausch mit all seinen äußeren Erscheinungen vom Grölen bis zum Kotzen scheint unmittelbar in das Ritual integriert. Ein Grund übrigens, warum das politische Kabarett immer wieder ins Leere läuft, wenn es sich den wenig maßvollen Bierdurst auf einem CSU-Parteitag zur Pointe nimmt.

Und noch etwas eint das Bier und den Pop. In Zeiten der Krise haben beide die Schuldigen längst benannt: Was den Plattenfirmen die MP3-Tauschbörsen im Internet, ist für die Bierindustrie das Dosenpfand. Ihm und nur ihm wollen Branchensprecher den Umsatzrückgang in die Pfandflasche schieben. Immerhin ging allein der Absatz von Pils in der ersten Jahreshälfte 2003 um 6 Prozent zurück. Da freut es nur spezifische Marken wie Köstritzer oder Schöfferhofer, dass etwa Schwarz- und Weizenbiere gegen diesen Trend im Absatz zulegen konnten.

Vor allem aber freut es – neben den internationalen Bierriesen Carldberg und Interbrew, die im Januar noch einmal auf Einkaufstour durch die deutsche Brauereilandschaft gegangen sind – die Anbieter so genannter Alcopops, jener trendigen Mischgetränke also, deren Geschmacks- und Wirkungsprinzip auf einen einfachen Nenner zu bringen ist: schmeckt wie Gummibärchen, wirkt aber wie Korn.

Aus dieser Perspektive betrachtet sind Alcopops nicht bloß ein Konkurrent fürs Bier auf dem umkämpften Markt der jugendlichen Alkoholeinsteiger – sie sind auch sein genaues Gegenteil. Wo Bier den Eintritt in die Erwachsenenwelt auch durch eine neue, ungewohnt herbe Geschmackserfahrung markiert, schmecken die zuckrigen Mixgetränke beinahe infantil. Sie liefern, sagt Gunther Hirschfelder, „Geschmacksmuster, die an Kindheitserinnerungen ansetzen“. Und die wunderbar in eine Welt passen, in der zwar die Lust am Berauschtsein, nicht aber die am Erwachsenwerden allgegenwärtig ist.

Zur Lust am Rausch haben derweil auch die Werbeabteilungen der Bierkonzerne zurückgefunden – und damit vielleicht zur ewigen Konstante eines fragiler werdenden Marktes. Als „Aufforderung zum Drogenmissbrauch“ wertet denn auch Nahrungsethnologe Hirschfelder viele der aktuellen Bierwerbungen, die zumeist zwei Mustern folgen: Entweder ist das Bier etwas, das man sich verdient hat. Eine Belohnung für und eine Entlastung von den Mühen des Alltags, ein eskapistischer Fluchtpunkt. Oder das Bier wird als jenes stimulierende Elixier inszeniert, das den schönen Tag noch schöner werden und dich die Welt umarmen lässt. Nur selten hat jemand den Mut, dem Beck’schen Segelschiff-Pathos oder der aufgekratzten Partylaune eines Diebels-Spots mit ein wenig Ironie zu begegnen. Zuletzt geschehen in der niedlichen Veltins-Werbung mit dem Wildwestfilm guckenden Fußballmanager Rudi Assauer und seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Simone Thomalla.

Und weil dem so ist, geraten die Bierbrauer immer wieder in den Fokus der Verbraucherschutzverbände. Zuletzt waren es die Carlsberg Brauerei sowie die Köstritzer Schwarzbierbrauerei, die für die Internetauftritte ihrer alkoholhaltigen Biermischgetränke „Mixery“ und „Bibop“ gerügt wurden. Beide Internetseiten hatten sich implizit an junge, nicht volljährige Konsumenten gewandt. Jene Zielgruppe also, an die Alkoholwerbung zwar nicht adressiert werden darf, an die sie sich aber doch immer wieder richtet. Denn weil sich der Konsument gerade in Fragen der Ernährungsgewohnheiten als ziemlich konservativ erwiesen hat, kann eben nicht früh genug mit der Geschmackserziehung begonnen werden.

So sei abschließend noch auf ein letzte Gemeinsamkeit zwischen dem Pop- und dem Biermarkt hingewiesen: auf die Krise des Mainstreams, der beim Bier vor allem die in den Neunzigerjahren mit immensem Werbeaufwand etablierten Edelpilse einholt.

Statt des einen Biers für Deutschland, wie es etwa „Warsteiner“ oder „König Pilsener“ sein wollten, wird es künftig mehr Raum für zeitgeistige Nischenprodukte geben. Aber auch für regionale Anbieter. Immer vorausgesetzt, dass diese die Globalisierungsschübe der Bierindustrie überlebt haben. Und dass auch der Kunde erkennt, dass ein frisch gezapftes Bier keine 1.500 Autobahnkilometer auf dem Buckel haben muss.