„Sie war genauso wie im Film“

Eine Art Nachlass: Die Regisseurin Patty Jenkins erzählt in „Monster“ die Geschichte der ersten Serienkillerin der USA. Ein Gespräch über Briefe aus der Todeszelle, den Abstieg ins Finstere und die Möglichkeit, dass auch wir zu Mördern werden können

INTERVIEW BIRGIT GLOMBITZA

taz: Sie widmen sich in Ihrem Debüt der Lebensgeschichte von Aileen Wuornos, einer Prostituierten, die des Mordes an sechs Männern angeklagt und im Oktober 2002 in Florida hingerichtet wurde. Eine Geschichte, die ganz Amerika bis heute beschäftigt. Warum konnte es für den Anfang nicht eine Nummer kleiner sein?

Patty Jenkins: Weil man diese Geschichte einfach erzählen musste. Ich habe alles über Aileen Wuornos in den Nachrichten gesehen, das hat mich einfach umgehauen, zutiefst bewegt, und hat unendlich viele Fragen aufgeworfen. Ich bin groß geworden mit Filmen über starke, widersprüchliche Charaktere. „Midnight Cowboy“, „Badlands“, „Bonnie and Clyde“. Und ich wusste genau, solche Geschichten will ich später auch einmal erzählen.

Was unterscheidet Ihren Film von anderen Filmen über männliche Killer?

Eine traditionelle Serienkillergeschichte ist sehr schwierig zu erzählen. Meistens sind die Täter tumbe Bestien, sexuelle Monster, kriminell enthemmte Perverse. In Aileens Fall ist es jedoch eher so etwas wie ein Kriegsfilm geworden. Wie „Full Metal Jacket“ zum Beispiel, in dem Charaktere, die unter anderen Umständen vielleicht normale, glückliche, gute Menschen geworden wären, in eine Art Dauerausnahmezustand geraten und zu vagabundierenden Killern werden. Und die wie Aileen denken, das gehe schon in Ordnung, weil, wie sie sagt, sie selbst bereits von anderen getötet worden ist. Zumindest ein Teil ihrer Empfindung und ihr Körper wurden ermordet. Das ist Aileens Geschichte. So etwas kann zwar nicht jedem, aber sicher mehr Menschen passieren, als wir uns vielleicht vorstellen können.

Warum musste es Charlize Theron sein, die als ehemaliges Fotomodell eher als Leinwandschönheit auftritt, denn als White-Trash-Vertreterin. Warum all das Make-up, künstliche Zähne und 14 zusätzliche Kilo, anstatt jemanden zu casten, der etwas Authentisches schon mit sich bringt?

Ich kannte einfach keinen Menschen, der Aileen auch nur ansatzweise ähnelte oder die Kraft und den Ausdruck hatte, diesen Part zu meistern. Wenn mir eine Schauspielerin eingefallen wäre, hätte ich sie auch besetzt. So musste ich nach einer suchen, die genug Mut für diese Metamorphose und den Abstieg ins Finstere aufbringt und sich nicht nur per Image für den menschelnden, herzzerreißenden Anteil der Geschichte eignet. Nur mit einer Repräsentation des Letzteren hätte ich nicht leben können.

Aileens Figur wird vor allem von einem bestimmten Gestenfundus bestimmt. Ihr unsicherer Cowboygang, die Art, wie sie raucht oder refrainartig lacht, haben Sie das mit Theron Punkt für Punkt durchtrainiert?

Das war ein Problem. Wenn man keine weiteren Informationen über einen Charakter hat, kann man sich das wunderbar zurechtkonstruieren. Lass sie so gehen, wenn sie misstrauisch wird, schau so von der Seite, wenn sie sich öffnet. Aber wenn man es mit einer öffentlichen Figur zu tun hat, geht das nicht. Wir haben alles recherchiert. In ihren Briefen, die sie in den 12 Jahren aus der Todeszelle geschrieben hatte, standen viele Informationen über sie: Wie unglücklich sie mit ihren Haaren war, wie sehr ihr der Dreck als Obdachlose zu schaffen machte, wie sie sich gegen Übergriffe rüstete. Aus den Briefen erfuhren wir nicht nur alles über die Beschaffenheit ihre Ängste, sondern auch über die ihrer Haut, die vom Job am Straßenrand und der ständigen Sonneneinstrahlung ziemlich angegriffen war. Die Transformation von Charlize zu Aileen war nicht das Ergebnis eines gestischen Trainings. Sie geschah von ganz allein in der Auseinandersetzung mit Aileens Leben.

Hatten Sie bestimmte formale, ästhetische Regeln, nach denen Sie die Geschichte erzählen wollten?

Ja, da war ich ganz strikt. Wenig Fahrten, keine Tricks und vor allem keine Handkamera.

Warum keine Handkamera?

Handkamera ist ein ungeheuer populäres Mittel geworden. Es soll besonders nah und authentisch wirken. Aber es suggeriert auch, dass eine dritte Person ständig vor Ort und mitten im Geschehen ist. Eine sehr private Präsenz also. Das finde ich völlig falsch. Auch in Ausstattung und Styling wollte ich möglichst wenig hinzufügen. Keine harte Musik, kein harter Schnitt. Die Geschichte selbst ist verdammt hart, da müssen wir dem Publikum nicht noch auf allen möglichen Ebenen Härte suggerieren. Ich wollte zuschauen, wie das Drama sich von alleine ereignet.

Sie haben vor den Dreharbeiten Kontakt zu Aileen Wuornos aufgenommen. Wollte sie an diesem Film und damit auch an der eigenen Legende mitarbeiten?

Ich habe sie ja nicht persönlich kennen gelernt, wir haben uns etliche Briefe geschrieben. Sie war genau wie die Aileen in meinem Film. Unendlich misstrauisch, unendlich verletzbar. Sie erwartete einfach nicht mehr viel von den Menschen. Es gab viele Menschen, die sich im Gefängnis um Aileen kümmern wollten und nur das Opfer in ihr sahen. Doch Menschen, die so kaputt sind, könne keine Hilfe mehr annehmen.

Betrachten Sie Ihren Film als Aileen Wuornos Nachlass?

Ja, in gewisser Weise. Für mich war es eine Herausforderung aber auch eine ungeheure Verantwortung. Wissen Sie, wenn man diese Gerichtszene in den Nachrichten gesehen hat, wie Aileen ihr Todesurteil hört, wie sie dann aufspringt und Richter und Staatsanwalt entgegenschreit: „Ich hoffe, ihr werdet alle sterben. Eine vergewaltigte Frau in den Tod zu schicken!“ Davon war ganz Amerika schockiert. Und ich wollte, möglichst verantwortungsvoll, Aileens Weg bis zu diesem Punkt nachvollziehen.