Der schöne Tod

Im Rausch der grünen Fee: Der deutsche Film „Was nützt die Liebe in Gedanken“ setzt auf die Essenzen des Kinos

Zum Einstand gibt es eine Atmosphäre sanfter Überwältigung. Ein Gefängnis, verschlierte Bilderfolgen und auf der Tonspur ein Wummern, Raunen, ein metallisches Schlagen, hingetippte Klaviertöne. Dann kommt die Rückblende: leichtfüßig-großspurige Jugend, poetisch-künstlerisches Aufbrausen, intensive, glasklare Blicke. Zwei Schulfreunde sind der festen Überzeugung, dass ohne Liebe die ganze Existenz nichts ist. Denn es ist besser, fordernd zu sein als gar nicht zu leben. Und wenn auch das Fordern keine Erfüllung bringt, dann sollte man sich die Kugel geben. Zu diesem Zweck wird der Club der suizidalen Konsequenz gegründet.

Der Weg ins Grab führt vorbei an liebevoll ausgewählten Interieurs und Kleidungsstücken. Die schöne Schwester des einen wird vom Freund des Bruders begehrt. Sie hält sich aber eher an den proletarischen Hunk, der nebenbei auch den Bruder befriedigt. In den Nebenrollen wird das Drama von Unerreichbarkeit und unglücklicher Verkettung ausgemalt, es geht also um viel. In „Was nützt die Liebe in Gedanken“ werden die Essenzen des Kinos verschwenderisch eingesetzt. Denn Liebe und Tod sind ein Dringlichkeitspaar, das bei X Filme bekanntlich größtes Ansehen genießt.

Allerdings wird die Luft auf den Ebenen darunter bedeutend dünner, es lassen sich linkische Seitenblicke und Absichten erkennen. Um es kurz zu machen: Auf dieser Ebene riecht es nach Strategie, Weltmarktformel und der Sehnsucht nach einem Auslands-Oscar. Hier wird auch der Eindruck vermittelt, als sei man sich über das Vorgehen ziemlich sicher. „Was nützt die Liebe in Gedanken“ versucht sich in handwerklicher Hochkarätigkeit à la Merchant/Ivory. Den so wonnigen wie selbstverliebten Historismus will man nicht den Briten allein überlassen. Altes Deutschland und musische Bourgeoisie, das muss kein Widerspruch sein. Die Geschichte dieses Landes hat viel Erzählenswertes zu bieten, das weit genug von der schweren Aura Hitlers entfernt ist (an der im Ausland aber weitaus mehr Interesse bestehen dürfte).

Der Stufenplan dieses Films erweist sich als klar kalkuliert: Berlin, Zwanzigerjahre, junge Herrenmenschen mit künstlerischer Attitüde und einem zeitgenössischen Freiheitsdrang. Auch ein bisschen schwul kann nicht schaden, zumal sich so der Todestrieb der jungen Männer küchenpsychologisch versorgen lässt. Alles in allem reichlich viel Projektion und corporate Begehren, um selbst den kamelhaftesten deutschen Film in die Knie zu zwingen.

Wirtschaftliche Zwänge tun das Ihrige. Häufig benutzte Drehorte wie „Wohnung in Berlin“ oder „Haus auf dem Land“ lassen Metropolenflair so richtig nicht aufkommen. In Deutschland wollen aber auch solche Filme ein Bild des Lebens (oder ein Fest des Todes) sein, die nicht mal eine Party nachvollziehbar lustig inszenieren können. Dieser Film macht es etwa so: Die Jungs balgen mal wieder herum. Die Mädchen nicken sich im Hintergrund lächelnd zu und feixen wohlwollend: „Tjh, die spinnen ja …“ Irgendwann schaut der verruchte Absinth-Lieferant vorbei und lässt die böse „grüne Fee“ auf unsere Freunde los. Dann wird auch das Bild amorph, und trotzdem will die Party noch nicht enden.

„Großes Kino“ ist eine Maschine, die Leben in Geld verwandelt. Viel mehr Metaphysik braucht auch ein Film nicht, der lieber etwas Gegenteiliges beteuert. In „Was nützt“ tritt man an den Abgrund, um dort in das breite Gesicht einer Selbstgenügsamkeit zu blicken, die keinen Abwechslungsreichtum braucht: keine Spannung und im Grunde auch keine Unterhaltsamkeit – nur Posen, stumme Blicke und einen Klavierspieler.

Dieser Stoff wurde in Deutschland bereits zweimal verfilmt. In den Jahren 1929 und 1960 legte man noch Wert auf doppelbödige Titel: geschminkte Jugend. Ein gepflegtes Make-up ist eben schöner als der Versuch, „Liebe“ in die triste Ecke einer vermeintlich Kinonützlichkeit zu stellen.

MANFRED HERMES