Chomeinis Erben

VON BAHMAN NIRUMAND

Durch den Ausschluss von mehr als 2.000 Kandidaten von der Teilnahme an den Parlamentswahlen am 20. Februar hat der von Konservativen beherrschte Wächterrat den Sieg der Rechten gesichert. Nach Angaben des Innenministeriums werden mindesten 190 Kandidaten der Rechten, deren Konkurrenten ausgeschlossen wurden, mühelos in das 290 Sitze zählende Parlament einziehen. Der Widerstand der Reformer gegen die Ausgrenzung, die auch 83 Mitglieder ihrer Fraktion im Parlament betraf, kam viel zu spät.

Rechter Aufbruch

Die Rechten haben bei dem Streit Durchhaltevermögen gezeigt, für sie scheint die Krise so gut wie überwunden. Mit Recht rief einer der mächtigsten Männer im Konservativen Lager, Waez Tabassi, am Freitag letzter Woche beim gemeinsamen Gebet: „Jetzt sind wir wieder an der Reihe.“ Mit „wir“ sind alle Organe und Instanzen gemeint, die nicht gewählt, sondern ernannt werden, allen voran die Führung der Justiz, die Mitglieder des Wächterrats, die Führung des Militärs und der Revolutionswächter mitsamt zwei Geheimdiensten, die direkt dem Revolutionsführer und der Justiz unterstehen. Hinzu kommen zahlreiche paramilitärische Gruppen, Killerkommandos, Schlägertruppen und mafiose Organisationen. Das staatliche Fernsehen und der Rundfunk befinden sich ebenso wie zahlreiche Zeitungen, Zeitschriften und Websites in der Hand der rechten Islamisten. Ein wichtiges Instrument zur politischen Einflussnahme bildet die Organisation der Freitagsprediger. Diese Organisation legt Woche für Woche fest, welche Botschaften die Schar von Geistlichen, die bis in die kleinsten Dörfer vertreten ist, dem Volk verkünden soll.

Mindestens genauso mächtig wie in der Politik sind die Konservativen in der Wirtschaft. Neben dem Staatshaushalt, den sie mit kontrollieren, haben sie nahezu die gesamte Schmuggelwirtschaft, die einen wichtigen Teil der iranischen Wirtschaft bildet, in der Hand. Auch der Handel mit Heroin und Opium, deren Besitz gewöhnlich mit dem Tod bestraft wird, bildet für die mafiosen Islamisten eine unerschöpfliche Einnahmequelle. Selbst das lukrative Geschäft mit pornografischen Videofilmen, deren Verbot sie selbst angeordnet haben, wird von den Gottesmännern getätigt. Kürzlich erklärte der Handelsminister vor dem Parlament, lediglich drei von über dreißig für Export und Import vorgesehenen Anlegestellen am Persischen Golf stünden unter der Kontrolle der Regierung. Auf die Frage eines Abgeordneten, wer die anderen Häfen kontrolliere, antwortete der Minister: „Ich kann nur Vermutungen anstellen, weiß es aber nicht genau.“

Es gibt im Iran zahlreiche Stiftungen, die zu Beginn der Revolutionen zum Schutz der „Barfüßigen und Habenichtse“ oder während des irakisch-iranischen Krieges als Hilfsorganisationen für Kriegsgeschädigte bzw. Hinterbliebene eingerichtet wurden. Diese Stiftungen sind zu gigantischen Finanzimperien gewachsen. Auch sie werden ausschließlich von Konservativen geführt. Sie zahlen keine Steuern. Ein Gesetz, das diese Stiftungen unter staatliche Kontrolle stellen und zur Steuerzahlung verpflichten sollte, wurde vom Wächterrat als unvereinbar mit der Verfassung und mit islamischen Grundsätzen abgelehnt.

Selbstverständlich ist das Lager der Rechten nicht einheitlich. Solange Revolutionsführer Ajatollah Chomeini lebte, konnte er dank seiner enormen Autorität die rivalisierenden Gruppen in Schach halten. Sein Nachfolger Ali Chamenei besitzt zwar formal fast absolute Macht, wird aber real weder in Kreisen der Großajatollahs noch in der Bevölkerung als religiöse oder staatliche Instanz akzeptiert. Dies zeigte sich auch in den letzten Wochen, als er bei dem Streit zwischen Konservativen und Reformern zu vermitteln versuchte. Obwohl er den Wächterrat anwies, die Ablehnungen noch einmal zu überprüfen, und ausdrücklich verordnete, die abgelehnten amtierenden Abgeordneten, denen kein Vergehen nachgewiesen werden kann, zuzulassen, weigerte sich der Rat, seinen Wunsch zu befolgen. Gerade in diesem Fall wurde offensichtlich, dass nicht Chamenei, sondern andere im Land das Sagen haben. „Andere“, das sind Geistliche und Zivile, von denen die meisten in Gruppen, Verbänden und Parteien, bestückt mit einer starken Hausmacht, organisiert sind.

Kämpfende Geistlichkeit

Eine der mächtigsten Gruppen nennt sich „Kämpfende Geistlichkeit“. Zu ihr gehören der frühere Staatspräsident Haschemi Rafsandschani, Exparlamentspräsident Nategh Nuri und der frühere Innenminister Mahdawi Kani. Ihr großer Einfluss beruht zum Teil darauf, dass sie für die Freitagsprediger zuständig ist. Die Gruppe vertritt zwar konservative Ansichten, ist jedoch mehr oder weniger pragmatisch, vor allem was die Wirtschaft angeht. Wenige Jahre nach der Revolution gab es aufgrund ideologischer Differenzen eine Abspaltung von dieser Gruppe, die sich „Kämpfende Geistliche“ nennt. Zu ihren wichtigsten Mitgliedern gehören Staatspräsident Mohammed Chatami und Parlamentspräsident Mehdi Karrubi. Sieht man von Chatami ab, steht diese Gruppe eher aufseiten der Konservativen, obwohl sie offiziell mit den Reformern ein Bündnis geschlossen hat. In Streitfällen tritt sie als Vermittlerin auf, wobei das Ergebnis zmeist zugunsten der Konservativen ausfällt.

Ein Teil der einflussreichsten grauen Eminenzen des Gottesstaates ist in der so genannten Haghani-Schule versammelt. In dieser Schule, die bereits zu Zeiten des Schahs in der heiligen Stadt Ghom gegründet wurde, lehrten und lehren die meisten Strategen und Ideologen der islamischen Theokratie. Sie sitzen an den Schaltstellen der Macht und erteilen Anweisungen in religiösen und politischen Fragen.

Die fundamentalistischste und zugleich militante Gruppe der Konservativen trägt den Namen „Partei Islamischer Koalitionäre“. Diese Gruppe blickt auf eine lange Tradition, die auf die in Ägypten gegründeten Islam-Brüderschaften zurückgeht. Zahlreiche Mordattentate auf hochrangige Politiker, aber auch auf linke oder säkular orientierte Intellektuelle und Schriftsteller gehen auf ihre Rechnung. Die mafios organisierte Partei verfügt nicht nur über einen großen politischen, sondern auch über einen ebenso großen militärischen Einfluss. Die Organisation der Revolutionswächter, die nach der Revolution als Parallelorganisation zur Armee gegründet wurde und inzwischen mehr Gewicht hat als die regulären Streitkräfte, steht praktisch unter dem Befehl der Islamischen Koalitionäre. Eines ihrer führenden Mitglieder, der stellvertretende Kommandant der Revolutionswächter, Zolghadr, warnte einmal kritische Journalisten: „Wir werden eure Federn brechen, eure Zungen herausreißen.“ Die Partei verfügt auch über Killerkommandos und Schlägertruppen. Auch ihr wirtschaftlicher Einfluss ist enorm. Sie beherrscht einen Teil des iranischen Schwarzmarkts.

Reformer setzen auf Zwist

Eine weitere wichtige Gruppe besteht aus Vertriebenen aus dem Irak. Es sind irakische Staatsbürger iranischer Abstammung, die teilweise schon zu Zeiten des Schahs und zum Teil nach der Revolution aus dem Irak nach Iran abgeschoben wurden. Sie sind straff organisiert und gehören sowohl politisch als auch wirtschaftlich zu den mächtigsten Kräften des Landes und zu einer der wichtigsten Stützen der Fundamentalisten. Der derzeitige Justizchef Haschemi Schahrudi gehört dieser Gruppe an. Die Partei monopolisiert fast den gesamten Zigaretten- und Alkoholmarkt. Ihre Bedeutung ist nach dem Sturz des Saddam-Regimes noch gewachsen, denn sie steht mit den schiitischen Gruppen im Irak in enger Verbindung.

Die genannten Organisationen bilden nur einen Teil des konservativen Lagers. Dieses Lager umfasst eine Palette von moderaten Rechten bis zu verbohrtesten Fundamentalisten. Sie rivalisieren miteinander um die politische und wirtschaftliche Macht und stehen sich zum Teil sogar feindlich gegenüber. Das hindert sie aber nicht daran, gegen die Reformbewegung eine gemeinsame Front zu bilden. Im Augenblick deutet die massive Ablehnung der Reformkandidaten darauf, dass die hargesottenen Fundamentalisten sich gegen die Moderaten durchgesetzt haben. Sollte es ihnen aber nun tatsächlich gelingen, nach den Wahlen die Reformer auszuschließen und dem Volk wie zu Chomeinis Zeiten wieder ihre absolute Herrschaft aufzuzwingen, werden ihre Interessengegensätze zum Zug kommen. Die Front wird bald zusammenbrechen. Das ist auch die Einschätzung eines Teils der Reformer. Man solle den Konservativen das Feld überlassen, damit sie an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gehen.