Und wegen eines ausgedrückten Pickels ist der Bär los

Vergangenen Sonntagabend war alles anders in der Ottensener Kneipe „Familieneck“: Fatih Akin kehrte aus Berlin zurück und hatte einen, hatte den „Goldenen Bären“ dabei. Gewonnen hatte er den auf der Berlinale für seinen Film „Gegen die Wand“, und den wiederum hat die niedersächsisch-bremische Filmfördergesellschaft Nordmedia mitfinanziert

In der Außendarstellung hat Nordmedia schon immer lieber geklotzt als gekleckert

Auf den ersten Blick ist es wie jeden Sonntagabend im Familieneck: Kleinere Grüppchen und Paare sitzen beim ruhigen Gespräch, die Musik ist lässig, einige Tische sind frei. Ottensen erholt sich mal wieder von einem anstrengenden Wochenende, zumal in der vorigen Nacht Familieneck-Wirt Coral in seinen Geburtstag reingefeiert hat. Der Laden habe gebrummt, hört man. Heute dagegen tuschelt der Laden: „Er kommt noch.“ „Ich habe gehört, er kommt erst Montag“. „Nee, ich hab‘ ihn doch schon gesehen.“ Langsam tröpfeln mehr Leute rein, auch Coral und seine Geburtstagsgäste haben sich noch einmal aufgerafft; es liegt etwas in der Luft.

Gegen elf dann ohrenbetäubender Lärm und heftiges Klatschen. „Fatih, Fatih, Fatih.“ Dass Fatih Akin am Sonntagabend ins Familieneck reinschneit, ist nichts Besonderes. Aber heute besteigt er nicht die kleine DJ- Empore und legt seine Lieblings-Songs auf; heute hat er statt einer Plattenkiste ein Ding in der Hand, das tatsächlich nach einem kleinen goldenen Bären aussieht.“ Trotz offensichtlicher Übernächtigung springt Akin auf einen Tisch und hält der johlenden Menge das glitzernde Tier entgegen: „Altona, Altona, Altona, für den besten Stadtteil der Welt.“

Wie ein Lauffeuer spricht sich das Ereignis am Alma Wartenberg-Platz herum: Aus Insbeth, Aurel und Duschbar kommen immer neue Gratulanten herein. Etwas später stößt dann auch die Sotiris-Crew hinzu, mit Wirt Adam Bousdoukos, dem Hauptdarsteller aus Akins erstem Film „Kurz und schmerzlos“. Nur die Journaille pennt heute Abend, weit und breit kein Blitzlichtgewitter. So liegen die Foto-Exklusivrechte bei Mehmet. Der legendäre Rosenverkäufer mit der Polaroidkamera beweist mal wieder seinen Riecher und ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Jeder will sich mit Akin Fatih und dem goldenen Bären ablichten lassen.

Wenn gerade nicht fotografiert wird, steht der goldene Bär so selbstverständlich auf seinem roten Sockel auf Tisch drei, als habe man ihn mal eben aus dem Pokalschrank geholt und blank geputzt. Im Arm trägt er eine von Mehmets roten Rosen und jeder, der möchte, darf ihn mal streicheln. Hin und wieder bekommt er auch eine Zigarette in den Mund gesteckt. Einige neue Gäste gucken ganz irritiert. Gerade hat Coral eine neue Runde Sekt für alle angeschleppt und Fatih ist wieder auf den Tisch gesprungen: „Altona, Altona! Der Bär ist wieder zu Hause.“

Nach einer Stunde merkt der Regisseur dann wohl doch die Strapazen der letzten Woche und nimmt den Bären unter den Arm. Eine kleine Delegation aus Stammgästen begleitet die beiden noch bis zum Hauseingang an der nächsten Ecke. Zurück bleiben glückliche Zaungäste der Film-und Kneipengeschichte, die noch lange an den Abend denken werden, als im Familieneck der Bär los war.

Ralf Lorenzen

Party, Promis, Plaudereien“ lautete der Slogan auf der immerhin einseitigen Anzeige, die von der niedersächsisch-bremischen Filmförderungsgesellschaft Nordmedia in der Festivalszeitung „Screen International“ geschaltet wurde. Neben Promis wie Heike Makatsch, Ulla Kock am Bring oder Mathieu Carriere kamen über 1.000 geladene Gäste zum Empfang in die Niedersächsische Landesvertretung – in der Außendarstellung hat Nordmedia ja schon immer lieber geklotzt als gekleckert.

Im letzten Jahr noch bot ihre Eigeninszenierung auf dem Empfang auch schon den Höhepunkt für Nordmedia auf dem Festival. Wenn mehr Geld statt ins Catering in die Förderung gegangen wäre, hätte man vielleicht auch filmische Erfolge feiern können, lästerten damals manche Filmemacher. Aber diesmal ist alles anders, denn Nordmedia hat auch Fatih Akins Film „Gegen die Wand“ mitfinanziert, und so kann sich die Nordmedia im Glanz des Goldenen Bären mit sonnen.

Auf der Pressekonferenz, bei der Akin mit dem Satz, sein Film wäre „wie ein Pickel“, den er endlich habe ausdrücken müssen, endgültig die Journalistenherzen für sich gewann, wurde vom Produzenten Ralph Schwingel auch die Nordmedia erwähnt. „Keine Schwierigkeiten“ hätten sie ihm beim Geldauftreiben gemacht – das wahrscheinlich höchste Lob, das man einer Fördergesellschaft machen kann.

Und Nordmedia hatte noch mehr Eisen im Feuer: Insgesamt fünf von ihr geförderte Filme waren auf der Berlinale zu sehen, und zumindest zwei von diesen Produktionen werden auch in die Programmkinos kommen.

„Northern Star“ von Felix Randau erzählt in düsteren Bildern den Entwicklungsroman des Teenagers Anke, die nur weg will aus der Ödnis einer norddeutschen Kleinstadt. Gedreht wurde der Film in Cuxhaven, und er trifft die Stimmung des „Fänger im Roggen“-Weltschmerzes sehr genau. Er beschreibt die Langeweile der Provinz, ohne dabei selber langweilig zu wirken.

Von Andrea Schuler und Oliver Ruts lief auf der Berlinale „Flammend‘ Herz“, ein eher konventioneller Dokumentarfilm, der nicht viel mehr will, als interessante Menschen vorzustellen. Hier sind es drei Herren um die neunzig, an denen nichts außergewöhnlich zu sein scheint, bis sie ihre Hemden ausziehen und man nur noch Tätowierungen sieht. Zu jedem Bild kann der Träger eine Geschichte aus seinem Leben erzählen.

Außerdem gab‘s den Kurzfilm „Restored Weekend“ von Kirstin Winter und Gerd Gockell, und dieses Werk wirkt wie ein Beleg dafür, dass Nordmedia auch „Kunst“ fördert. Die beiden bebilderten eine Toncollage des deutschen Filmavantgardisten Walter Ruttmann aus den 20er Jahren und montierten dazu Bilder im Stil von Ruttmanns eigenen Filmen wie „Symphonie der Großstadt“. Im Saal gab es dafür nicht mehr als höflichen Applaus.

Wilfried Hippen