Eine Episode soll nicht Episode bleiben

Die „Bild“-Zeitungsmacher wollen die „Gegen die Wand“-Darstellerin Sibel Kekilli als Pornodarstellerin outen und outen sich doch nur selbst: „In Wahrheit“ sind sie Pornografen

Die fröhlichen Pornografen von der Bild-Zeitung mal wieder. Allein schon eklig, sich vorzustellen, was für eine eitel Freude bei den Kollegen am Sonntag geherrscht haben muss. Da feiert alle Welt Fatih Akins Berlinale-Siegerfilm „Gegen die Wand“ und dessen Hauptdarstellerin Sibel Kekilli. Und die Jungs von der Bild haben Material zugespielt bekommen, das die Schauspielerin als Mitwirkende in Pornofilmen zeigt. Was sie draus gemacht haben, ist ein Skandal.

Es komme hier keiner mit dem Argument, dass die Boulevardblatt-Macher – wie es immer beschwichtigend heißt – „schön blöd“ gewesen wären, wenn sie die Geschichte nicht gebracht hätten. Es kommt immer noch auf die Art und Weise an, wie sie das tun. Dass sie die Story als Aufmacher auf die erste Seite gepackt haben, dass sie sie mit zwei Bildern aus den fraglichen Pornovideos garniert haben, dass sie sie dann auf der dritten Seite noch mal fotografisch groß hochziehen – das alles ist, selbst an Bild-Maßstäben gemessen, nichts anderes als widerlich.

Es komme hier auch keiner mit dem von Hans Magnus Enzensberger stammenden Argument, man dürfe die Bild-Zeitung eben nicht moralisch kritisieren, sondern müsse sie als Kunstwerk sehen. Denn der eigentliche Skandal liegt noch gar nicht in der prominenten Platzierung. Sie liegt in der Schlagzeile. „Deutsche Film-Diva in Wahrheit Porno-Star“: Aus einer Episode dieses Lebenslaufs wollen die Bild-Leute die eigentliche Identität der Person machen. Besser hätten sich die vermeintlichen Journalisten gar nicht selbst outen können: „In Wahrheit“ sind sie Pornografen.

Jaja, das wusste man wirklich schon vorher. Aber die bis in linke Kreise verbreitete Ansicht, so seien die Boulevardmedien eben, stimmt nicht. Man kann Boulevardjournalismus auch anders machen. Lustiger, selbstironischer, vor allem: nicht pornografisch. Diese Leitung der Bild-Zeitung kann es aber offensichtlich nicht.

Und Sibel Kekilli? Am Sonntag hatte die Nachrichtenagentur AP noch folgende Version ihres Aufstiegs verbreitet: „Vor wenigen Monaten noch arbeitete die 23-jährige türkischstämmige Deutsche als Verwaltungsangestellte im Essener Rathaus, Abteilung Müll. Dann passierte das, wovon Millionen träumen. Beim Einkaufen wurde sie von einem Filmagenten angesprochen und quasi von der Straße weg für Fatih Akins ‚Gegen die Wand‘ gecastet – und auch gleich für die Hauptrolle genommen.“ Eine fast ein wenig kitschige Aschenputtel-Geschichte. Doch so geradlinig laufen die Dinge nicht.

Das Aschenputtel hat also Leichen im Keller. Na und? Stefan Schubert, der Produzent des Films, sagt: „Wir haben das natürlich gewusst. Es war uns aber gleichgültig, denn uns haben nur die schauspielerischen Fähigkeiten Sibels interessiert.“ Das hört sich doch gut an. Es spricht nach der Bild-Geschichte erst recht nichts dagegen, in dem Lebenslauf Sibel Kekillis eine gelungene Integrationsgeschichte zu sehen. Und eine Hoffnung für den deutschen Film bleibt sie sowieso. Der Filmstart wurde übrigens auf den 11. März vorgezogen.

DIRK KNIPPHALS