Ein Grundgesetz macht noch keine Demokratie

Der ukrainische Staatspräsident Leonid Kutschma kommt morgen zu einem Staatsbesuch nach Deutschland. Zu Hause versuchen er und seine Anhänger, sich mit äußerst fragwürdigen Verfassungsreformen die Macht zu sichern

Leonid Kutschma hat bei den diesjährigen Präsidentenwahlen kaum Siegchancen

BERLIN taz ■ „Die deutsche Verfassung ist für mich ein Vorbild“, ließ sich Leonid Kutschma in einem vorab veröffentlichten Beitrag für die Welt am Sonntag unlängst vernehmen. Doch offensichtlich scheint der ukrainische Präsident, der morgen zu einem zweitägigen Staatsbesuch nach Deutschland kommt, das Grundgesetz nicht ganz verstanden zu haben. Ist doch das derzeitige Bemühen, die ukrainische Verfassung zu verändern, nichts anderes als der Versuch Kutschmas und seiner Getreuen, sich auch für die kommenden Jahre die Macht zu sichern.

Am 24. Dezember vergangenen Jahres stimmten 276 Abgeordnete und damit die Mehrheit des 450-köpfigen Parlaments in erster Lesung für eine Verfassungsänderung, mit der die Direktwahl des Präsidenten durch ein Votum des Parlaments ersetzt wird. Zudem werden wesentliche Vollmachten des ersten Mannes im Staat – so die offizielle Version – auf das Parlament übertragen.

Viel Fantasie braucht es nicht, um das Manöver zu durchschauen. Der politisch lädierte Leonid Kutschma, dem das Verfassungsgericht nach seiner Wahl in den Jahren 1994 und 1999 unlängst grünes Licht für eine dritte Amtszeit gab, hat bei den Präsidentenwahlen im kommenden Herbst nur geringe Siegchancen. Demgegenüber haben die Kutschma-Anhänger, die stark mit den Oligarchen verbandelt sind, nach zahlreichen Manipulationen das Parlament fest in der Hand. Und das, obwohl bei den Parlamentswahlen von 2002 das Parteibündnis „Unsere Ukraine“ unter Führung von Viktor Juschenko, dem aussichtsreichsten Präsidentenkandidaten und gefährlichsten Widersacher Kutschmas, gewonnen hatte.

Am 3. Februar 2004 bestätigte das Parlament mit 304 Jastimmen und damit einer Zweidrittelmehrheit die Änderung zum Gesetz über die Verfassungsreform. Zu den Befürwortern gesellten sich diesmal auch die Sozialisten unter Alexander Moroz. Der Sozialistenchef, der sich gern als Opponent des Präsidenten bezeichnet, jedoch immer mal wieder mit den Pro-Kutschma-Fraktionen stimmte, setzt sich seit Jahren für eine Verfassungsreform ein, will jedoch die Direktwahl des Präsidenten beibehalten. Erleichtert haben dürfte Moros Abstimmungsverhalten die Tatsache, dass der Passus über die Präsidentenwahl kurzerhand aus der Abstimmung ausgeklammert wurde.

Auch dieser Schachzug kommt nicht von ungefähr. Wenige Tage vor der zweiten Lesung der Verfassungsreform im ukrainischen Parlament hatte die Parlamentarische Versammlung des Europarates mit 46 zu 13 Stimmen eine Resolution über die Ukraine verabschiedet. Darin wird die Verfassungsreform als Versuch bezeichnet, einen Sieg des Oppositionskandidaten Viktor Juschenko bei der Präsidentenwahl 2004 zu verhindern. Zudem wird Kiew aufgefordert, mit der Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht) zusammenzuarbeiten. Diese hatte auf einem rechtsstaatlichen Procedere der Verfassungsänderung bestanden. Abschließend heißt es, der Ukraine drohe der Ausschluss aus dem Europarat, sollten die Präsidentenwahlen nicht wie geplant durchgeführt und weiter versucht werden, die fragliche Verfassungsreform durchzusetzen. Auf den ersten Blick könnten der Europarat und die Opposition mit dem Abstimmungsergebnis vom 3. Februar zufrieden sein. Doch das wäre wohl verfehlt. „Die Opposition und der Europarat sind auf zynische Art und Weise getäuscht worden“, schreibt die Lwiwer Tageszeitung Vysoky Zamok. „Das geschah so elegant, einfach genial vom Standpunkt politischer Technologie aus gesehen und nur, um ein strategisches Ziel zu erreichen: Präsident Leonid Kutschma an der Macht zu halten.“

Noch muss das Verfassungsgericht der Reform sein Placet geben. Doch sollte diese, so wie es aussieht, in der jetzigen Variante in Kraft treten, hat Kutschma nichts zu befürchten. Ihm kommt die Verfassungsdiskussion gerade recht, um vom eigenen Versagen abzulenken.

Der nächste Staatschef, selbst aus dem gegenerischen Lager, könnte nur wenig ausrichten. Demgegenüber wäre dann das gestärkte Parlament am Zug, das den künftigen Regierungschef bestimmt. Und der könnte mangels anderer Alternativen und angesichts der Kräfteverhältnisse wieder Leonid Kutschma heißen. BARBARA OERTEL