Der Wächterrat hat aufgepasst

Eine Wahl haben die Iraner nicht wirklich: Der Wächterrat hat Reformkandidaten im Vorfeld einfach ausgeschlossen. Den Menschen bleibt nur Boykott

VON BAHMAN NIRUMAND

Morgen wird in Iran das 290 Sitze zählende Parlament neu gewählt. Der Wächterrat hat das Wahlergebnis bereits vorweggenommen: Das Gremium, für die Wahlaufsicht zuständig, hat mehr als 2.000 Kandidaten abgelehnt, von denen die meisten der Reformbewegung angehören, unter ihnen 83 amtierende Parlamentarier der Reformfraktion. So werden die konservativen Islamisten, wenn nicht die absolute, so doch die relative Mehrheit erringen.

Laut iranischem Innenministerium haben die Wähler in 190 Wahlbezirken nur die Möglichkeit, einen Kandidaten der Konservativen zu wählen. Bekannt wurde dies erst fünf Tage vor der Wahl, als die Konservativen eine Liste ihrer Kandidaten unter dem Namen „Abadgaran“ vorlegten (zu Deutsch: die das Land in blühende Landschaften verwandeln wollen). In der Liste tauchen kaum Namen bekannter Wortführer der Konservativen auf. Es sind eher Personen, die bislang im Hintergrund wirkten und die zumeist aus dem Umfeld von Revolutionswächtern, paramilitärischen Organisationen und Informationsdiensten stammen. Viele verfügen über Erfahrungen auf dem Gebiet der islamischen Propaganda im In- und Ausland, einige sind Mitarbeiter des von Konservativen beherrschten staatlichen Fernsehens und Rundfunks. Vor diesem Hintergrund ist das Entscheidende bei dieser Wahl nicht ihr Ergebnis, sondern die Wahlbeteiligung.

Die wichtigsten Organisationen der Reformer, etwa die vom Bruder des Staatspräsidenten Mohammed Resa Chatami geführte Moscharekat-Partei oder die Mudschaheddin der Islamischen Revolution, haben erklärt, dass sie sich an den „Scheinwahlen“ nicht beteiligen werden. Auch zahlreiche studentische Gruppen, Journalistenverbände und Menschenrechtsorganisationen und nicht zuletzt die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi haben zum Wahlboykott aufgerufen.

Aktuelle Umfragen legen nahe, dass die Wahlbeteiligung in den Großstädten bei 5 bis 10, in den Provinzen bei etwa 20 Prozent liegen wird. Ein solches Ergebnis wäre für die Konservativen ein Desaster. Kein Wunder also, dass ihre Wahlkampfmaschinerie auf Hochtouren läuft. Rundfunk und Fernsehen rufen unaufhörlich zum Urnengang auf, Freitagsprediger bezeichnen die Teilnahme an der Wahl als religiöse Pflicht, staatlichen Angestellten wird mit Entlassung gedroht. Gerüchte über Wahlfälschung machen die Runde. Mohammed Resa Chatami, Vizepräsident des Parlaments, behauptet, zwei Millionen Ausweise seien zusätzlich gedruckt worden, damit die Anhänger der Islamisten mehrmals wählen können. Und der Abgeordnete Mohsen Takasschwand erklärte: „Leute, die ohne rechtliche Handhabe tausende Kandidaten ausschließen können, sind zu jedem Betrug fähig.“ Er fügte hinzu, man habe ein Mittel unter den Leuten verteilt, mit dem sie den Wahlstempel aus ihrem Ausweis löschen könnten. Anlass zu den Gerüchten lieferte auch die Weigerung des Wächterrats, Computer für die Stimmenauszählung zuzulassen.

Die innenpolitische Spannung hat sich so kurz vor der Wahl nochmals verschärft. So verlas ein Sprecher der Reformfraktion am Dienstag im Parlament ein von mehr als hundert Abgeordneten unterzeichnetes Schreiben an Revolutionsführer Ali Chamenei, in dem die Missachtung des Volkswillens scharf kritisiert wird. Die Abgeordneten machen dafür den Revolutionsführer verantwortlich und stellen ihm die Frage, was an den Gerüchten wahr sei, dass er persönlich den Wächterrat angewiesen habe, Kandidaten auszuschließen. Radikalere Reformer, etwa der Ausschussvorsitzende für Fragen der Sicherheit und Außenpolitik, Mirdamadi, versuchen nun, die Wahl als ein Referendum zu deuten. Sollte die Wahlbeteiligung wie erwartet ungewöhnlich niedrig ausfallen, sagte Mirdamadi, könne dies als ein Votum gegen die absolute Herrschaft der Geistlichkeit verstanden werden.

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