Wenn sich Bären umarmen

Das Problem, in der Nähe der Staatsmacht heiter Bier zu trinken und Kartoffelsalat zu essen: Eine Finissage mit Kanzler im Kanzleramt

Zuweilen lädt der Bundeskanzler zu kulturellen Events ins Berliner Bundeskanzleramt. Diesmal, am Dienstag, war es eine Finissage; die Ausstellung mit den Skulpturen des Mecklenburger Bildhauers Joachim Jastram wird geschlossen. Intime Formate mit Titeln wie „Nilfloß“ oder das Porträt „Kurt Masur“, die wirklich das zeigen, was der Titel verspricht; denn Joachim Jastram gehört, wie Klaus Tiedemann in seiner Einführung sagte, zu den „Figuristen“. Er erhielt seine Ausbildung und begann seine Karriere in der DDR, die den Avantgardismus folgerichtig ablehnte.

Gern wandelte man – wie die Staatsministerin Christina Weiss erzählte – als Kanzleramtsmitarbeiter in den Wintergärten des Kanzleramts zwischen diesen Plastiken und ließ sich von ihnen auf andere Gedanken bringen als die an Reformstress und Haushaltslöcher. Schöne Räume bilden diese Wintergärten in der Tat, verglast gegen die Büros und die Außenwelt, mit erlesenen Bäumen bepflanzt.

Lädt der Kanzler zu so einem Kulturereignis im Kanzleramt, erweckt sein Inhalt die schwächste Aufmerksamkeit. Was die Künstler, Autoren, Theaterleute, Feuilletonisten viel stärker beschäftigt, ist der Kanzler selbst. Nach den Eröffnungsreden und dem Rundgang durch die Wintergärten stieg man in den ersten Stock des Regierungspalastes und durfte sich an einem Buffet bedienen, dazu wurden Bier und Wein und Wasser und Saft gereicht. Die Kulturträger verteilten sich an Stehtische und in Sitzgruppen und konnten beobachten, wie sich der Kanzler unangestrengt Zeit für sie nimmt. Hier steht er herum und dort, Gruppen bilden sich um ihn, oder er gesellt sich ihnen zu. Ohne Herablassung, ohne Beflissenheit vernimmt er, was der Kulturträger zu sagen wünscht.

Rasch lernte man, dass er mit dem Mecklenburger Bildhauer Joachim Jastram persönlich befreundet ist. Sie duzten sich, sie warfen einander Witzworte zu und am Ende der Eröffnungszeremonie kam es zu dem, was im Amerikanischen the bear hug heißt, die umklammernde Bären-Umarmung. Schätzt der Kanzler persönlich diese Plastiken? Entspricht er seinem Geschmack, der Bildhauer als Bauer oder Gärtner, der mit elementaren Materien hantiert – und nicht bloß mit flüchtigen Bedeutungen? Joachim Jastram, ein großer schwerer Mann mit weißem Haar und Bart, in tadelloses Kulturschwarz gekleidet, bewirtschaftet sein Atelier in einem unauffindbaren Dorf Mecklenburgs, das dem Kanzler, wie wir erfuhren, wohl vertraut ist (während das Publikum rätselte).

Es gehört zu diesen Kulturereignissen im Kanzleramt, dass der Gast gern hingeht und geehrt ist durch die Einladung. Gleichzeitig erzeugt dies Behagen ein eigenes Unwohlsein. Es schickt sich nicht, in der Nähe von Staatsmacht heiter Bier zu trinken und Buletten mit Kartoffelsalat zu verspeisen und die Gespräche zu führen, denen man sonst in Bars oder Theaterfoyers oder daheim nachhängt.

Was das Presseecho angeht, das bislang diese Kulturereignisse im Kanzleramt auslösten, so fand man die Feuilletonisten stets mit ironischen Distanzierungsversuchen befasst. Sollte bloß kein Leser denken, dass sie sich einfach wohl gefühlt hätten in der Gesellschaft des Regierungschefs, bei einem geselligen Beisammensein im Regierungspalast. Man könnte ja meinen, dass der Kulturträger sich ranschmeißt an den Machtträger, und dieser Eindruck muss unbedingt vermieden werden.

Diesmal fand das Problem sofort eine saubere Lösung. Die Feuilletonisten konnten, sofern sie Westler waren, einander unaufwendig zu verstehen geben, dass sie mit dieser Bildhauerei, überhaupt mit DDR-Kunst wenig anzufangen wissen. Damit war der Abend auf Anhieb gerechtfertigt. MICHAEL RUTSCHKY