Eine transatlantische Affäre

Die Bilder sind in Berlin oft besser präsentiert als in New York. Das lässt ein MoMA-Gefühl nicht aufkommen

VON BRIGITTE WERNEBURG

Wie alles begann: Nach diesem Schema hat Angela Schneider, die Leiterin der Neuen Nationalgalerie, die rund zweihundert Meisterwerke gehängt, die nun aus ihrem Haus das „MoMA in Berlin“ machen. Seit heute sind sie in der Hauptstadt zu sehen. Die Abfolge der Exponate, die das Museum of Modern Art für sieben Monate ausgeliehen hat, weil es sein Stammhaus in Manhattan aufgrund von Bauarbeiten räumen musste, zeigt die Geschichte der modernen Kunst seit 1880 zunächst einmal siebzig Jahre lang als eine europäische Angelegenheit. Erst dann schreiben sich die US-amerikanischen Künstler mit Macht in diese Geschichte ein.

Zwangsläufig wird von einer Wachablösung erzählt. Amerika verdrängte Europa aus der Weltspitze, nicht zuletzt, so kann man spekulieren, in Folge der Gründung jenes beispielhaften Museums ausschließlich für moderne Kunst, das hier nun gefeiert wird als das bedeutendste seiner Art. Es inspirierte neue Mäzene und Sammler, die jungen Talenten nachspürten und mit Kaufkraft und Sammellust die Vereinigten Staaten schnell zum international wichtigsten Kunstplatz machten.

Natürlich war da noch, und hier wird es vor allem für die Deutschen bitter, die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, die Europas Avantgarde vertrieb und vernichtete. Vor allem dieser Punkt wird von Peter-Klaus Schuster, dem Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, und dem Financier der Ausstellung, dem Verein der Freunde der Nationalgalerie, auf denkwürdige Weise zum Argument für die Berliner Mammutschau umgemünzt.

Ohne Hitlerdeutschland, glaubt man ihren Verlautbarungen, wäre das MoMA sowieso ein Berliner Museum. Schließlich habe die Dependance der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais unter den Linden, wo deren Direktor Ludwig Justi 1927 zeitgenössische Kunst zeigte, tiefsten Eindruck auf Alfred H. Barr, den Gründungsdirektor des Museum of Modern Art, gemacht. Ebenso wie der Besuch der Deutschen Bauausstellung 1931 in Berlin, wo Barr die Arbeiten Mies van der Rohes kennen lernte, dessen Nachlass nun das MoMA hütet. Wie eben alles begann.

Und wie es eben endet, wenn allzu viele Döneken erzählt werden. Inzwischen glauben Teile der Berliner Presse schon, das New Yorker Stammhaus des MoMA wäre von van der Rohe gebaut – so oft wurde im Vorfeld betont, dass das Sieben-Monats-Gastspiel des MoMA auch wegen Mies’ Neuer Nationalgalerie, dem vermeintlichen MoMA-Bau schlechthin, nur in Berlin stattfinden konnte.

Hingegen soll es keine Rolle gespielt haben, dass womöglich die Hälfte der unerhörten Summe von offiziell 8,5 Millionen Euro, die die Schau die Freunde der Nationalgalerie kostet, Leihgebühren an das MoMA sind. (Inoffiziell wird inzwischen sogar wieder von der Anfangssumme von zwölf Millionen Euro gesprochen.)

Wie also alles begann: Eine Soapopera mit all ihren konstruierten Intrigen, Gerüchten, Eifersüchteleien und Verschwörungen soll heute mit der Eröffnung der Ausstellung ihr vorläufiges Happy End finden. „Das MoMA ist der Star“ – seit Wochen schon verkündigen die Plakate in der Hauptstadt die Besetzungsliste. Welche Rolle die Kunst in dieser Soap spielen soll, darüber schweigt sich die Werbung aus. Sie ist massiv, aggressiv pinkfarben und präsentiert das MoMA als Marke. Trotzdem konnte bei einer Umfrage des Vereins unter 300 Personen keiner etwas mit der Abkürzung anfangen, wie Peter Raue, der Vorsitzende der Freunde und die treibende Kraft hinter dem Projekt, einräumt.

Auch Journalisten und Kenner versprechen sich und fragen, ob man schon im Guggenheim war. Dieses New Yorker Museum mit seinen Satelliten in Bilbao und Berlin, war der Vorreiter jenes forcierten Museum-Marketings, das man jetzt auch beim MoMA zu erkennen glaubt. Was die Verwechslungsgefahr noch erhöht: Der Sponsor bei beiden Berliner Projekten ist der Gleiche – die Deutsche Bank. Vielleicht hätte man doch die Kunst in den Vordergrund rücken sollen?

Der Druck, die Schau zu finanzieren, trägt zu einem souveränen Umgang mit der Kunst nicht gerade bei. 3.000 Besucher am Tag, 700.000 im Lauf der sieben Monate, sollten schon in die Potsdamer Straße kommen, damit die Unkosten eingespielt werden. Zumal der Verein am Ende des Jahres keine Schulden haben darf, sonst ist seine Förderungswürdigkeit gefährdet. Was anderes also sollte man zeigen als den Kanon des Kanons? Was als einen geradlinigen, synoptischen Überblick ohne Ab- und Seitenwege, eine Wallfahrt von einer Ikone der Moderne zur nächsten, in einer Situation, wo sich die Besucher um die Bilder drängen? Wo Studenten in Diensten der Schau zu so genannten „MoManizern“ im pinkfarbenen T-Shirt mutieren, wohl trainiert, der Ungeduld wartender Besucher mit Informationen zu Bildern und Ausstellung zu begegnen?

In acht Kapiteln, deren Namen jeweils den Titel einer wichtigen MoMA-Ausstellung zitieren, werden die Gemälde und Skulpturen – und darauf beschränkt sich die Auswahl – chronologisch aufsteigend bis in die Sechzigerjahre hinein gezeigt. Signifikant: Zur Feier des berühmten Jahres 2000 organisierte das MoMA drei Ausstellungen; zwei dieser Ausstellungen gaben dem Berliner Rundgang ihren Titel: „Moderne Anfänge“ und „Offenes Ende“. Nur der dritte Titel – „Making Choices“ – fehlt.

Wohl zu Recht, denn wirklich eine Wahl treffen durften die Berliner nicht. Sie durften zwar Wünsche äußern, doch das Konzept und die Auswahl der Exponate lagen beim Chefkurator des Museum of Modern Art, John Elderfield. Er probt für den Ernstfall New York. Denn auch das neue, erweiterte Haus, das zum 75. Jubiläum des MoMA 2005 wiedereröffnet werden soll, ist zu klein, die Sammlung in ihrer Gesamtheit zu zeigen. (siehe Kasten) Neben wechselnden Präsentationen verbleibt nur ein Kernbestand großartiger Meisterwerke in der Dauerausstellung. Auf diesen können die Besucher des „MoMA in Berlin“ immerhin schon heute einen Blick werfen.

Das Entree der Schau im Untergeschoss der Neuen Nationalgalerie ist von ausgesuchter Großartigkeit. Flankiert von van Gogh, Picasso, Cézanne und Gaugin, hängt im Zentrum Henri Rousseaus Spätwerk „Der Traum“ aus dem Jahr 1910 mit der Nackten auf dem heimeligen Sofa im exotischen Dschungel: das Urwaldparadies schlechthin. Immer wieder können sich die Großformate prachtvoll entfalten. Claude Monets „Seerosen“ von 1920 erstrecken sich über zwölf prunkvolle Meter, und an der rückwärtigen Stellwand prangt prompt Henri Matisses „Der Tanz“ von 1909.

Inzwischen glauben Teile der Berliner Presse schon, das New Yorker MoMA wäre von van der Rohe gebaut

Die Bilder sind in Berlin oft besser präsentiert als bislang in New York. Doch genau dieser Umstand sowie der Ausschluss von Exponaten aus der Design-, der Foto-, der Plakat- und der Architekturabteilung des Museums lässt ein MoMA-Gefühl nicht aufkommen. Anders, als es sich dessen Direktor Glenn Lowry erhofft hat, werden die Bilder in Berlin nicht mit „neuer, radikaler Bedeutung aufgeladen“. Sie wirken im Gegenteil klassischer, größer, bedeutender, aber auch historischer, als man sie aus Manhattan in Erinnerung hatte.

Vielleicht weil die US-amerikanische Nachkriegsmalerei in Berlin sonst kaum vertreten ist, wirken die Räume mit Jackson Pollock, Willem de Kooning, Robert Motherwell oder Barnett Newman interessanter, nicht ganz so aufgeräumt und wohl sortiert. Obwohl sie das genauso sind wie etwa „Russland und das Bauhaus“ mit großartigen suprematistischen Arbeiten von Malewitsch, einem Rodtschenko und einem Moholy-Nagy.

Die Auswahl an Pop Art ist klein, aber geschickt. Dass Hauptwerke jenseits Lichtensteins „Ertrinkendem Mädchen“ von 1963 nicht zu sehen sind, fällt kaum auf. Und ebenfalls fällt kaum auf, dass die Moderne mit Minimal Art und Konzeptkunst auch schon abgeschlossen ist; da steht eine – diesmal im Obergeschoss mehr schlecht als recht präsentierte – Plastik von Bruce Nauman, eine Reihe grafischer Malereien von Philip Guston, vor allem aber Gerhard Richters 15-teiliger Zyklus zur RAF, „18. Oktober 1977“, davor. In die Gegenwart allerdings reicht das „Offene Ende“ nicht.

Der „Broken Obelisk“ (1963–1969) am Eingang zu Mies’ Kunsttempel, den Barnett Newman Martin Luther King widmete, verspricht in seinem fragilen Balanceakt von einer Obeliskenspitze auf einer Pyramidenspitze mehr, als die nachfolgende Schau hält. Die ist zwar zweifellos höchst elegant und von klassischer Großartigkeit, sie ist makel- und tadellos, doch wirklich auf- und anregend ist sie nicht. Kein Balanceakt, jedenfalls keiner, der mal kippt, rutscht und gefährlich wird.

So völlig abwegig scheint es also nicht zu sein, dass die Schau von politischer Seite auch gleich noch als Vehikel transatlantischer Freundschaftspflege vereinnahmt wird; als kulturelle Vorhut im verminten Gelände der deutsch-amerikanischen Politik. Auch hier geht es ja darum, die Gemüter zu beschwichtigen, die Aufregung zu dämpfen und einen eleganten Ausweg aus den Brüchen und Verwerfungen zu finden. Immerhin, in dem zur „amerikanischen Jahreszeit“, zur „american season“ erklärten Berliner Kulturjahr 2004 mit seinen 93 Veranstaltungen in 48 beteiligten Institutionen, tritt das Filmdepartment des MoMA in der Deutschen Kinemathek auf. Und Fotografien aus der herausragenden, siebzig Jahre alten Sammlung des Museum of Modern Art zeigt die Galerie Kicken bis Anfang Mai. Das hilft, das Bild des „MoMA in Berlin“ ein wenig komplexer zu gestalten.

Bis 19. September, Katalog 29 Eurowww.das-moma-in-berlin.de