„Wir überleben das!“

Köln versucht sein ramponiertes kulturelles Image mit der Bewerbung als Kulturhauptstadt Europa 2010 aufzupolieren. Doch viele zweifeln an der Botschaft angesichts von verschleppten Problemen, Vertragsbrüchen und der Selbstgefälligkeit der Stadt

Vor allem fehlt es an Glaubwürdigkeitin der Kunst- undKulturszene selbst

VON ALEXANDER HAAS

Wenn in Köln etwas wirklich Wichtiges passiert, kann man dessen Bedeutung für die Stadtoberen und deren Freunde spätestens am Rosenmontag ermessen. Was Kultur betrifft, gibt es in der viertgrößten Kommune Deutschlands momentan – jedenfalls nach offizieller Lesart – nur ein Thema: Köln will 2010 Europäische Kulturhauptstadt werden. Und deshalb werden Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) und der von ihm unlängst im Handstreich zum Chefkoordinator der Bewerbung erkorene Kulturmanager Franz Xaver Ohnesorg im Rosenmontagszug mitmarschieren, eigens vom Festkomitee eingeladen. Außerhalb von Köln versteht das vielleicht niemand, doch so geht das in dieser Stadt. Man liebt die obergärige Mischung aus Volkstümlichkeit und kompensatorischem Repräsentationsgebaren, gibt es doch in der freien Bürgerstadt keine hoheitlich-residenziellen Traditionen. Man feiert sich selbst und die Anwesenheit der Fernsehkameras.

Allerdings ist nicht alles so schön bunt hier. Blickt man auf die kulturpolitischen Fehlleistungen und, nun ja, Skandale der letzten Monate und Jahre, dann erscheint es vielen in der Stadt (und weit darüber hinaus) einigermaßen rätselhaft, warum die von NRW-Kulturminister Michael Vesper (Grüne) einberufene Jury Ende Juni ausgerechnet Köln und nicht den Mitbewerbern Münster, Ruhrgebiet (vertreten durch Essen) oder gar dem Kreis Lippe (voraussichtlich Detmold) den Zuschlag erteilen sollte. Ende März ist Abgabe in NRW, bis Ende 2005 benennen Bundesrat und letztlich die EU die Siegerkommune aus den insgesamt 17 deutschen Bewerbern.

Man könnte inzwischen Ordner füllen mit den Katastrophenmeldungen aus der völlig derangierten Kölner Kultur und Kulturpolitik. Im Schauspiel will die Stadt Anfang 2005 zwei Spielstätten für den regulären Spielbetrieb dichtmachen, darunter die große Experimentierbühne Halle Kalk. Als Prolog zur Schließung riskierte die Stadt einen Vertragsbruch und kürzte das Budget von 47,5 Millionen Euro, das dem seit Mitte 2002 glücklos amtierenden Intendanten Marc Günther und dessen Kollegen Peter F. Raddatz zugesichert war, um 3,5 Millionen.

Der seit über zehn Jahren andauernden künstlerischen Misere der Bühnen hoffte man an der Oper im letzten Jahr durch ein Engagement der Luzerner Intendantin Barbara Mundel zu entkommen. Sie wurde auch berufen, doch OB Schramma funkte seiner Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer mal wieder dazwischen und ließ Frau Mundel absagen. Hoffnung macht derzeit allein der neu berufene Generalmusikdirektor Markus Stenz.

Bei den Museen ist die Lage kaum angenehmer. Die sind „mehr oder weniger kaputtgespart“, bekannte Hüllenkremer im Januar. Die ehemalige Kunststadt musste in den letzten Jahren viel Renommee an – allerdings von Land und Bund geförderte – Häuser wie das K21 in Düsseldorf oder die Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn abtreten. Einzig das Museum Ludwig unter der Direktion von Kaspar König kann da noch mithalten, wenn auch nur aufgrund der geschickten Vertragsforderungen Königs an die Stadt. Dann machten Nachfolgediskussionen um Direktionsposten im Museum für Angewandte Kunst und Wallraff-Richartz-Museum Schlagzeilen, zuletzt die Meldung, dass die renommierte Sammlung afrikanischer Masken aus dem Hause Barbier-Mueller doch nicht für das Rautenstrauch- Joest-Museum erworben wird. Es fehlten 3,5 Millionen Euro, was im Vergleich zu manch anderer Investition in Köln Peanuts sind.

Finstere Zeiten für einen Kulturhauptstadt-Aspiranten? Bis 2010 soll in der Stadtmitte ein neues Museumszentrum inklusive Kammermusiksaal hochgezogen werden. Der Bau ist seit Jahren im Gespräch und soll mit Mitteln des Landes und der Stadt finanziert werden, die im Haushalt bereits eingestellt sind – allerdings ohne die künstlerischen und personellen Etats. Doch an der Planstelle gähnt seit Monaten das inzwischen berühmt-berüchtigte Kölner „Loch“: Sicherheitshalber hat man erst mal Kunsthalle und Kunstverein abgerissen, um dann festzustellen, dass man mit dem Land im Clinch über die Mittelkalkulation liegt. Der Verein „Loch e. V.“ mit prominenten Mitgliedern wie den Künstlern Rosemarie Trockel und Marcel Odenbach hatte zwischenzeitlich ein architektonisch-finanzielles Gesamtkonzept vorgelegt, das auch eine „europäische Kunsthalle“ enthielt. Bescheid: negativ.

Man musste also schleunigst Land gewinnen, um die Kulturhauptstadt-Bewerbung noch irgendwie ernst gemeint erscheinen zu lassen. Gesagt, getan. Der Kölner Maler Gerhard Richter wurde in den Stand eines Ehrenbürgers versetzt, und OB Schramma hat „11 Botschafterinnen“ zur Unterstützung des Vorhabens benannt, Frauen aus der Kölner Kultur-, Sport- und Wissenschaftsszene, unter ihnen Alice Schwarzer und Anke Engelke. Aber selbst die Ladykracherin kann den Eindruck der Substanzlosigkeit solcher PR-Aktionen nicht verwischen.

Dagegen könnte höchstens der Bewerbungstext selbst helfen. Zwar hat Köln den Rat von Wolfgang Lorenz, Jurymitglied auf Landesebene und Intendant der Kulturhauptstadt Graz 2003, nicht befolgt: Sie mögen ihn doch bitte nicht mit dem ohnehin Bekannten wie Dom, römische Tradition, Medienstadt belästigen. Der gotischen Kathedrale ist ein ganzes Kapitel der Bewerbung gewidmet.

Aber immerhin ist das nicht alles. Die Stadt will sich gemeinsam mit Istanbul bewerben; allerdings fehlt noch die Zusage aus der Türkei. Wenn das Duo zustande kommt, könnte sich daraus – bei echter Vernetzung und migrationspolitisch reflektierten Projekten – eine der Stärken der Kölner Bewerbung entwickeln. Auch was Stadtentwicklung angeht, listet das Papier interessante Perspektiven: das Großprojekt „Rheinboulevard“ oder eine „Via Nova“, die die riskanten Planungen auf der vernachlässigten rechten Rheinseite zu einer „neuen City“ mit RTL-Sitz, neuen Hochhäusern und ICE-Terminal veranschaulichen soll.

Einzelnen interessanten Ideen stehen allerdings die Pannen der Vermittlungsarbeit gegenüber. Die Berufung Ohnesorgs etwa sorgte für beträchtliche Unruhe bei den mitregierenden Grünen und Teilen der bisher an der Bewerbung bastelnden Gremien; auch weil Schramma seine Inauguration angeblich im Schulterschluss mit dem in Köln übermächtigen Verleger Alfred Neven DuMont durchgedrückt hat. Um die Wogen zu glätten, wurde Ohnesorg ein ehrenamtlich arbeitender Kooperationsbeirat an die Seite gestellt.

Vor allem hat die Stadt in der Frühphase der Bewerbung geschlafen. Während in Münster und Essen diverse Aktionen liefen, um die Bewerbung transparent und partizipatorisch zu gestalten, gab es in Köln nur ein maues Logo, den Slogan „Wir leben das“ und Plakate in „Light“-Ästhetik. An der Bewerbungsschrift arbeiteten zwar 124 Menschen in Arbeitskreisen mit, es waren aber alles Fachleute. Von Bürgerbeteiligung kann auch darüber hinaus kaum die Rede sein. Vor allem fehlt es an Glaubwürdigkeit in der Kunst- und Kulturszene selbst, nicht zuletzt bei jenen, die Kölns verblassenden Ruf als Hauptstadt des Pop begründet haben: den Jüngeren.

Ex-Popkomm-Leitungsmitglied Ralf Plaschke und Ex-Spex-Redakteur Ralf Niemczyk werben im Netz inzwischen lieber radikalironisch für Münster, der Regisseur Gregor Leschig verschickt Fragebogen an Bürger, und Teile der Kunstszene beruhigen: „Wir überleben das.“ Andere Gruppierungen der freien Szene, deren „innovative Kraft“ die Bewerbung „für die Entdeckung neuer künstlerischer Entwicklungen“ an vorderster Stelle reklamiert, unterstützen das Vorhaben. Sie wollen der Sache von innen Impulse geben. Da scheint ein anderes Problem der Kölner Kultur auf: Die unterschiedlichen Kreise aus Musik, Theater, Film, Kunst etc. durchdringen sich nicht, die Produktion eines spartenübergreifend anregenden geistigen Klimas fehlt. An welchen dafür von der Stadt geförderten Orten sollte sie auch stattfinden?

Doch in Politik, Verwaltung und PR sind es die seit Beginn der Vorbereitungen von allen deutschen Bewerberstädten beschworenen „Synergieeffekte“ aus Tourismus, Medienpräsenz und Wirtschaft, die man sich auch für den kürzungsgebeutelten Standort Köln von dem Projekt erwartet. Das entscheidende Stichwort in Graz, das als Kulturhauptstadt 2003 eigenen Angaben zufolge mit einer „schwarzen Null“ bilanziert, war eine die Stadtoberen hoffnungsvoll stimmende „Umwegrentabilitätsstudie“; vulgo: eine Art Beweis, wie man den kaputten Finanzkörper seiner Stadt mit Geld von außen fit spritzen kann. Schrammas Kulturdezernentin hält dagegen an der Qualität des (noch) vorhandenen Kulturangebots und dessen europäischer Prägung in 2.000 Jahren fest. Damit bewegt man sich schon eher in Nähe dessen, was man sich gemeinhin unter Kulturhauptstadt vorstellt. Auch die EU-Kriterien verlangen keine großspurigen Events, sondern Bürgerbeteiligung, nachhaltige und dezidiert europäisch konzipierte Projekte.

Um dem Anspruch gerecht zu werden, hat der schwarz-grün regierte Kölner Stadtrat kürzlich einen Programmetat von 52,5 Millionen Euro für die heiße Phase von 2006 bis 2010 verabschiedet. 40 Millionen sollen von Sponsoren erbracht werden, maximal 12,5 Millionen von der Stadt, die ohnehin unter dem Druck des aktuellen Sparhaushalts ächzt. Doch für Roderich Stumm, den Leiter der Geschäftsstelle Kulturhauptstadt, ist die Sponsorenfrage „mit hoher Unsicherheit behaftet“. Nur Ohnesorg hat in dieser Hinsicht keine Bedenken. Auch sein paralleles Engagement beim renommierten Klavierfestival Ruhr, einem Projekt des Mitbewerbers Ruhrgebiet, hält er für unproblematisch.

Die Bewerbung ist verabschiedet. Was jetzt bleibt, sind PR und Lobbyarbeit gegenüber Politik und Jury. Der Grazer Intendant Wolfgang Lorenz gibt zu bedenken: „Kulturhauptstadt ist natürlich auch ein politischer Wert, und wenn die Stadt nicht mit Entschlossenheit antritt und geschickt Lobbyarbeit macht, wird sie das Match nicht gewinnen.“ Die fatale Kulturpolitik wird da kaum ein Argument sein. Schon eher, dass Köln für NRW trotz allem die meisten Touristenströme anlocken, sich finanziell und im Ansehen regenerieren könnte. Entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Projekts im Vorfeld wird jedoch sein, ob die Strategen in den vorderen Reihen auch anders können, als sich in der für die Stadt so typischen Selbstgefälligkeit zu ergehen. Das wäre die erste Voraussetzung, um den aktuellen Zustand der Kultur in Köln zu revidieren.