Provinz

Dennis Cooper: „Punkt“, PassagenVerlag, Wien 2003, 127 Seiten, 15 Euro

In Dennis Coopers Welt haben Jugendliche keine Eltern, sie müssen nicht zur Schule gehen und sich um nichts kümmern, was den Alltag der meisten Teenager ausmacht. Leon und Nate befinden sich im Niemandsland der amerikanischen Provinz und schlagen ihre überflüssige Zeit tot mit Black Metal, Satanismus, Speed und vor allem Gewalt und Sex. Opfer ihrer sadistischen Fantasien wird zunächst Dagger, ein taubstummer Junge, der selbst immer in sein Tagebuch schreibt, wie langweilig ihm ist. Doch immer mehr verschieben sich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, die Erzählperspektiven wechseln immer rasanter, zunehmend fühlt man sich als Leser in die Köpfe der gerade Sprechenden gesperrt, ohne noch genau zu wissen, wo sich diese Haltlosen gerade befinden und was sie dort Ekliges tun.

Nicht nur, dass Nate und Dagger einander fatal ähnlich sehen, irgendwann geschieht Nate dasselbe, was er Dagger angetan hat: Er wird von zwei Jungs, zwei Musikern der Band „The Omen“ vergewaltigt und misshandelt. Plötzlich taucht die Figur eines Schriftstellers auf, der einen Roman mit dem Titel „Punkt“ geschrieben hat, in dem eine Band auftaucht, die „The Omen“ heißt. Mit Walker erscheint eine neue Ebene, auf der wie in einem Spiegelkabinett alle Figuren der ersten Geschichte noch einmal auftauchen. Doch geht nie alles auf, eher beginnt man, an die komplizierten Treppen eines MC Escher zu denken, die nirgends hinführen. Erst am Ende flockt langsam der Verdacht aus: George, Nate und Dagger, ebenso EgoreG, Etan und Natetan sind ein und dieselbe Person.

Es geht um den unwiderstehlichen „cute boy“ an sich, der sich weniger aus Wirklichkeit zusammensetzt denn aus multiplen Wunschfantasien. Was am Ende mit ihm geschieht, ist völlig egal. Wichtig ist nur: Die Sehnsucht nach dem Authentischen geht heutzutage nur im Fiktiven auf.

Dennis Cooper, dessen „Punkt“ der fünfte Teil eines Romanzyklus um schwule Außenseiter aus der Subkultur darstellt, wurde 1953 in Kalifornien geboren, lebt heute in Los Angeles und gehört laut Bret Easton Ellis zu den „letzten Outlaws im Mainstream der amerikanischen Literatur“. Dass sich ausgerechnet Bret Easton Ellis mit ihm solidarisiert, ist kein Zufall: Wie Dennis Cooper hat er den Adoleszenzroman in einer Art von moralisierenden Außenperspektiven befreit, die einfach nicht mehr zu übertreffen ist.