Eine, der nichts passt

Ach, Amateure in Sachen Lebensbewältigung sind wir: Die Schauspielerin Valeria Bruni Tedeschi legt ihr Regiedebüt vor. Melancholisch leicht erzählt sie von dem Gefühl, nicht richtig zu sein in der Welt: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr …“

Sie steht im Türrahmen und sieht zu, wie sich der große Regisseur in der Nase bohrt

VON ANDREA ROEDIG

Was ist tröstlicher als einzusehen, dass es für die wirklich großen Probleme des Lebens keine Lösungen gibt? Dass Federica problematisch viel Geld haben könnte – so viel, dass sie täglich 300.000 Francs ausgeben müsste, um diesen verdammten Besitz am Ende ihres noch jungen Lebens endlich los zu sein –, sieht man ihr nicht an. Sie ist, in durchweg allen Szenen des Films, gnadenlos schlecht angezogen. Meist hetzt sie ungeschickt auf zu hohen Schuhen – immer zu spät – mit gepunktetem Rock, gestreiftem Pullover, einer riesengroßen Handtasche und in einem silbernen Jaguar durch die Pariser Straßen.

In dem Film „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr …“, Valeria Bruni Tedeschis Regiedebüt, dessen Hauptrolle der Federica sie sich meisterhaft selbst auf den Leib geschnitten hat, geht es also ums Reichsein, oder andersherum, um die Unmöglichkeit von Erlösung. Gleich in der ersten Szene sucht Federica einen Priester auf. Sie will beichten. „Was?“, fragt er. „Ich bin reich“, sagt sie. Das sei keine Sünde, eher ein Zustand, antwortet er und zitiert das Evangelium, in dem es heißt, eher gehe ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel komme. 110 Minuten lang werden wir Federica nun bei dem Versuch zusehen, ein Kamel einzufädeln.

Federica stammt aus einer italienischen Industriellenfamilie. In herrlich schnodderigen Rückblenden ist zu erfahren, dass ihre Eltern aus Furcht vor einem Kidnapping durch die Roten Brigaden mit der ganzen Familie nach Paris umsiedelten, als Federica und ihre Geschwister noch klein waren. Nun ist der Vater (Roberto Herlitzka), ein alter Patriarch, krank und liegt im Sterben, Zeit also, die spezielle Familiendynamik – zumeist italienisch – auszufechten. Aus den Kindern ist nicht wirklich etwas geworden. Federica schreibt Theaterstücke, hat einen proletarischen Liebhaber, mit dem sie sich unmöglich auf eine gemeinsame Wohnung einigen kann und den ihre Mutter in Verdacht hat, etwas mit den Roten Brigaden zu tun zu haben. Die Schwester Bianca (Chiara Mastroianni) ist einzig damit beschäftigt, per Psychotherapie ihren Vaterkonflikt zu bearbeiten, denn sie ist die ungeliebte Tochter. Die Mutter (Marysa Borini) lebt das Leben der Bohème und sammelt Familienfotos neben echten Rubens. Der Bruder Aurelio (Lambert Wilson) wiederum, ganz der gelangweilte Snob, unterbricht für einen Krankenbesuch beim Vater eine Weltreise. Es ist seine zweite, diesmal umrundet er die Kontinente in entgegengesetzter Richtung.

Bruni Tedeschi passt in ihre Rolle, wie ihre Kleider nicht passen. Stets blickt Federica so drein, als würde ihre Strumpfhose nicht richtig sitzen oder das Mieder zwicken, als sei sie abgelenkt durch irgendetwas, das nicht im Bild ist. Sie ist die Inkarnation des Ungeschickten, Fahrigen, ein einziges Nicht-richtig-in-der-Welt-Sein. Ewig sucht sie in ihrer viel zu großen Handtasche nach irgendwelchen Dingen. Immer streitet sie mit ihrem Liebhaber Pierre (Jean-Hugues Anglande). Immer ist da der Zweifel, dass er nicht zu ihr passt. Sie erstickt, und dann trifft sie Philippe (Denis Podalydes), den vielleicht wahren Exgeliebten, einen verheirateten Mann. Die beiden wagen kaum, sich anzublicken, hastiges, verbotenes Begehren. „Hast du Zeit auf einen Kaffee?“ – „Nein jetzt nicht, morgen?“ – „Morgen kann ich nicht.“ Also unmöglich, aber natürlich treffen die beiden sich doch am nächsten Tag in einem Café.

Federica lächelt das unsichere Lächeln eines Menschen, der sich nicht wohl fühlt in seiner Haut. Eins mit sich ist sie nur in den eingeblendeten Fantasieszenen, die alle Konflikte auf wundersam ironische Weise lösen, oder in der Luft. Im Krankenzimmer des Vaters springt sie lachend auf einem Bett herum und ruft, ganz zum Vergnügen des alten Vaters, sie sei „la grande trapezista“ – der narzisstische Traum. „Seht auf Federica“, sagt auch die Ballettlehrerin, „es sieht aus, als würde sie in der Luft stehen.“ Die immer wiederkehrenden Ballettstunden gehören zu den großartigen Szenen. Ältere Damen und ein Herr in petrolfarbenem hautengem Leibchen drehen schwankende Pirouetten auf den Zuschauer hin. Grazil ist dieses Dressurspringen für die gehobene Schicht auch bei Federica nicht, sie ist zu kräftig, zu lebendig, scheint das Bild zu sprengen und diese kleine Gruppe von Menschen, die wie Dörrobst aussehen.

All die Szenen, die Bruni Tedeschi aneinander reiht – Familienglück, Kinderspiel, Liebesleid und romantisches Sehnen – sind zur Komik beschleunigter Kitsch. Wie auf einem Karussell tauchen dieselben Szenen und Orte variiert immer wieder auf: die Ballettschule, die Kirche, das Krankenhaus, das Elternhaus in Italien, die Wohnung der Schwester, die Treffen mit Pierre, mit Philippe, ein Spielplatz im Park. Komik erzeugt Bruni Tedeschi durch Geschwindigkeit und den gnadenlosen Blick aufs Nebensächliche. Federica beobachtet, wie die Pflegerinnen ihren sterbenden Vater waschen und sich dabei erzählen, was sie am Wochenende unternehmen werden. Sie beobachtet, im Türrahmen stehend, wie sich der große Regisseur, dem sie ihr Stück angeboten hat, in der Nase bohrt.

Mag sein, dass sich die Regisseurin Bruni Tedeschi zu sehr um die Schauspielerin Bruni Tedeschi dreht. Mag sein, dass der Rhythmus des Films nicht ganz austariert ist. Seine Weisheit liegt jedoch darin, den Stoff, aus dem tragische Konflikte sind, mit melancholischer Leichtigkeit in der Schwebe zu lassen, ohne ihn ins Lächerliche zu ziehen. Tod, Schuld, Liebe, Geschwisterrivalität, Ehebruch, Verrat, Mutterschaft, Reichtum – all diesen Themen beugt sich der Film und erlöst sie nicht. Zum Schluss ist nur alles ein wenig in Bewegung gekommen, der Vater stirbt, die Affäre mit Philippe ist vielleicht aufgegeben, vielleicht auch nicht, dem Staat wird ein bisschen Geld geschenkt, die Schwester ist immer noch Konkurrentin und war vielleicht mit Pierre im Bett, vielleicht auch nicht. Der Film erlöst, weil er Lösung verweigert, er versöhnt mit dem ewig zwickenden Mieder, weil er sein Zwicken nicht leugnet. Wir sind eben alle nur Amateure in Sachen Lebensbewältigung.

„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr …“, Regie: Valeria Bruni Tedeschi, mit Valeria Bruni Tedeschi, Chiara Mastroianni u. a., Frankreich 2003,110 Min.