Für die Ewigkeit gemacht

Als der Produzent Rick Rubin nach einem Star suchte, dessen Karriere hoffnungslos am Boden lag, der weder weiterwusste noch -konnte, fand er Johnny Cash. Nun liegt das Vermächtnis ihrer Zusammenarbeit auf den fünf CDs der Box „Unearthed“ vor. Mit ihr hat sich Cash ein wunderbares Denkmal gesetzt

VON HARALD PETERS

Johnny-Cash-Fans dürfen wieder ruhig schlafen: Zum einen hat der amerikanische Pharmakonzern Wyeth Consumer Healthcare aufgrund von Protesten seitens der Cash-Familie von dem Plan Abstand genommen, die beliebte Hämorrhoiden-Salbe „Preparation H“ in einem Reklamefilm mit dem Gassenhauer „Ring of Fire“ zu bewerben. Zum anderen ist es der Plattenfirma Polydor doch noch gelungen, Johnny Cashs vorläufig letztes Monumentalwerk, die 5-CD-Box „Unearthed“, mehr als zwei Monate nach der offiziellen Veröffentlichung, endlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Ob die Verzögerung dabei tatsächlich mit Lieferschwierigkeiten oder möglicherweise einem neuartigen Kopierschutz zusammenhängt, der Musikpiraterie durch drastische Verknappung von potenziell kopierbaren Tonträgern gleich an der Wurzel bekämpft, ist zwar bislang nicht geklärt. Fest steht hingegen, dass die Wartezeit im Grunde nicht weiter ins Gewicht fällt, denn „Unearthed“ scheint ohnehin wie für die Ewigkeit gemacht. Gekleidet in schwarzes Leinen, dokumentiert die Box die letzte Schaffensphase des großen Sängers, der am 12. September 2003 im Alter von 71 Jahren verstarb.

Diese Schaffensphase begann rund zehn Jahre zuvor, als der Produzent Rick Rubin (z. B. Slayer, Beastie Boys, Public Enemy) für sein Label American nach einem Star suchte, dessen Karriere hoffnungslos am Boden lag, der weder weiter wusste noch konnte, und nur von dem Ruf lebte, einst ein großer Künstler gewesen zu sein. Er fand Johnny Cash.

In den 70er- und 80er-Jahren hatte Cash zutiefst verzichtbare Werke wie „Look At Them Beans!“ oder „Strawberry Cake“ aufgenommen, eine beachtliche Anzahl von Weihnachtsplatten veröffentlicht und gar das berüchtigte „Children’s Album“ eingesungen, auf dem er den putzigen „Dinosaur Song“ zum Besten gab. Er war zum Spielball der Musikindustrie geworden, und kein Konzept schien seltsam und demütigend genug, das Geschäft mit Cash am Rollen zu halten. Und weil Cash ohnehin längst willenlos war, ging er auf die Vorschläge von Rubin ein.

Zu seinem Glück. Nach etlichen vergeblichen Versuchen, Cash auf die eine oder andere Art interessant in Szene zu setzen, entscheidet sich Rubin bei der ersten Zusammenarbeit „American Recordings“ (1994) dafür, lediglich die Demo-Aufnahmen zu veröffentlichen, auf denen man nur Cash und seine Gitarre hört. Bei dem zweiten Album „Unchained“ (1996) lässt er Cash von Tom Petty & The Heartbreakers begleiten, die beiden letzten CDs „American III: Solitary Man“ (2000) und „American IV: The Man Comes Around“ (2002) werden mit wechselnden Musikern und Duettpartnern eingespielt. Dabei covert Cash auch Künstler wie Soundgarden, Danzig, die Beatles, Nine Inch Nails und Sting. Er spielt also Lieder, die man eigentlich nicht von ihm erwartet. Es heißt, Johnny Cash mache sich die fremden Songs zu eigen. Jede der vier Platten gelten als kleine Sensation und machen das Comeback perfekt.

Was die Box „Unearthed“ nun auf den ersten drei CDs namens „Who’s Gonna Cry“, „Trouble in Mind“ und „Redemption Songs“ in einem gewissen Umfang dokumentiert, sind die zahllosen Stücke, die es aus irgendwelchen Gründen nicht auf die eigentlichen Alben schafften. Darunter sind Titel von Neil Young („Pocahontas“, „Heart of Gold“), ein Duett mit Fiona Apple (Cat Stevens „Father & Son“), ein Duett mit Joe Strummer (Bob Marleys „Redemption Song“) und eine wunderbare Version von Jimmy Webbs „Wichita Lineman“. Auf der vierten CD „My Mother’s Hymn Book“ singt er mit knurrigen Stimme, nur von seinem Gitarrenspiel begleitet, die Kirchenlieder, die seine Mutter einst sang. Und auf der fünften CD ist schließlich eine Auswahl der besten Titel der vier Alben von 1994–2002 zu hören. Jeder der insgesamt 79 Titel wird dabei in einem bilderreichen Buch von Cash, Rubin und anderen Beteiligten kommentiert. Man mag zwar meinen, dass die zuständige Plattenfirma Cash mit „Unearthed“ posthum die letzte Ehre erweisen wollte, doch die eigentliche Pointe ist, dass Cash und Rubin es waren, die diese Prachtbox von der Schwere eine Grabsteins selbst konzipierten. Und wenn man darüber nachdenkt, dann hat Cash im Grunde seit „American III: Solitary Man“ mit Titeln wie „I’m Leaving Now“, „I See a Darkness“ und „In My Life“ unablässig seinen bevorstehenden Abgang besungen.

Er hat sich mit „Unearthed“ selbst ein wunderbares Denkmal gesetzt. Weil er aber nicht wusste, wann sein Ende wirklich kommt, waren selbstverständlich noch weitere Denkmäler in Arbeit. Das „Black Gospel Album“ ist bereits angekündigt.

Johnny Cash, „Unearthed“ (Polydor/Universal)