Plötzlich immer besser geworden

Eigentlich wollte Diana Sartor nur ein bisschen mitrutschen. Dann jedoch entdeckte die Pensionswirtin ihre Begabung für den Skeletonsport und krönte am Wochenende mit dem Weltmeistertitel eine imposante Leistung des deutschen Teams

AUS KÖNIGSSEE JOACHIM MÖLTER

Das verzweifelte Anfeuerungsgebrüll des Streckensprechers hat Diana Sartor nicht gehört, man kriegt ja sowieso kaum etwas mit, wenn man mit 110 km/h bäuchlings den Eiskanal hinunterrauscht. Deshalb hat sie sich auch nicht aus der Ruhe bringen lassen von der Durchsage, sie liege auf halber Strecke schon eine halbe Sekunde hinter der führenden Lindsay Alcock aus Kanada – gewöhnlich ein uneinholbarer Rückstand im Skeletonsport, zumal im vierten, im letzten und entscheidenden Lauf. „Ich bin einfach langsam am Start“, erklärte Sartor später, „ich baue von oben her die Geschwindigkeit langsam auf.“ So kam es, dass sich die 33-Jährige mit derart hohem Tempo durch die letzten zwei Kurven schlängelte, dass sie am Ende noch sechs Hundertstelsekunden schneller war als Alcock, die Gesamtweltcup-Gewinnerin.

Damit war Diana Sartor erstmals Weltmeisterin, und weil Kerstin Jürgens noch Dritte wurde, kündigten die deutschen Frauen eine „hoffentlich sehr, sehr lange Party“ an (Jürgens). An dieser beteiligten sich auch Florian Grassl und Frank Kleber, die hinter dem Kanadier Duff Gibson zwei weitere Medaillen für die deutschen Skeletonis holten. Die hatten den Heimvorteil auf der Kunsteisbahn in Königssee weidlich ausgenutzt. „Wir haben uns zielgerichtet vorbereitet“, sagte Jens Müller, Skeletontrainer im Bob- und Schlittenverband (BSD): „Von den Trainingsleistungen her konnte man das erwarten. Aber dass sie es in den vier Läufen im Wettkampf umgesetzt haben – darauf können sie stolz sein.“

Das waren die Athleten unübersehbar. „Ich bin überglücklich, und das wird sich auch noch einige Wochen hinziehen“, sagte Florian Grassl, selig lächelnd. Der 23-Jährige hatte erst vor eineinhalb Jahren mit dem Skeletonsport begonnen, nachdem er sich vergeblich im Bob versucht hatte. „Dafür war ich zu leicht, mit 1,70 Meter und 75 Kilogramm wird das einfach nichts“, hatte er eingesehen. Nun war er in seinem zweiten Wettkampfwinter schon Weltmeisterschafts-Zweiter geworden und fand: „Es läuft einfach. Aber es geht fast schon zu schnell.“

Die Skeletonis nehmen Fahrt auf, nicht nur in Deutschland. „Die Zeitabstände im Ziel werden geringer, das zeigt, dass der Sport professioneller betrieben wird“, analysiert Jens Müller. Er glaubt, dass Skeleton „eine Riesenzukunft hat, weil es für die Zuschauer attraktiv ist und auch im Fernsehen gut rüberkommt“. Robert H. Storey, der Präsident des internationalen Verbands FIBT, gab sich in jeder Hinsicht „sehr glücklich mit der Entwicklung“. Wegen der geringeren Materialkosten im Vergleich zum Bobfahren oder Rodeln sei es „leichter für mehr Menschen“, diesen Sport auszuüben. In Nordamerika wird Skeleton sogar als Breitensport betrieben, und Storey glaubt: „Das ist ein Einsteigersport.“ Auf dem Spitzenniveau ist es freilich noch ein Umsteigersport, wie nicht nur das Beispiel Grassl belegt:

Kerstin Jürgens schob noch im vorigen Winter den Bob der WM-Zweiten Sandra Prokoff an, auch Weltmeister Duff Gibson stieg vom Bob auf den flachen Skeletonschlitten um, und wie bei etlichen anderen Kollegen spielte die Wiederaufnahme des Sports ins olympische Programm dabei eine Rolle: „Mein Traum war immer, bei Olympischen Spielen mitzumachen“, sagte Gibson, „und die Entscheidung zum Wechseln fiel mit der Aufnahme durch das IOC zusammen.“

Bei Diana Sartor wiederum lag der Fall ganz anders: Sie kam als Pensionswirtin in Altenberg mit Athleten in Berührung, die dort übten; sie machte den Trainerschein, „weil ich andere Fahrer trainieren wollte“, wie sie erzählt: „Und dann bin ich selbst immer besser geworden.“ Athleten wie Frank Kleber sind die Ausnahme: Er kam schon als Sechsjähriger zum Skeleton, weil sein Vater das früher auch gemacht hatte. In einer Hinsicht ist der Münchner freilich sehr typisch für die Skeletonszene: Er ist Amateur. „Ich bin Fliesenleger“, sagt der 23-Jährige, der im väterlichen Betrieb arbeitet, „auch im Winter.“

Duff Gibson, 37, ist im Hauptberuf Feuerwehrmann in Calgary, seine Landsfrau Lindsay Alcock studiert, Kerstin Jürgens ebenso. Florian Grassl genießt immerhin den Vorteil, Soldat in einer Sportfördergruppe zu sein. Nur Diana Sartor kann man halbwegs als Profi bezeichnen: Sie wird von einer Reha-Klinik gesponsert. Was die Professionalisierung angeht, müssen die Skeletonis wohl noch etwas Fahrt aufnehmen.