Und wieder feiert sich Hollywood

Skandale wären „So-o-o Last Year“: Die 76. Oscar-Verleihung ging ohne Überraschungen über die Bühne. Peter Jacksons „Herr der Ringe“ wurde elfmal ausgezeichnet. Und Charlize Theron bekam den verdienten Oscar für ihren Mut zur Hässlichkeit

VON SVEN VON REDEN

„Stoppt diesen Krieg! Dies ist ein fiktiver Krieg!“, ruft Michael Moore – und wird von einem überdimensionalen Elefanten zertrampelt. Man könnte meinen, Hollywood nähme Rache für den Skandal, den Moore mit seiner flammenden Anti-Bush-Rede bei der letztjährigen Oscar-Verleihung auslöste. In einem Einspielfilm zu Beginn der diesjährigen Preisverleihung wird der Dokumentarfilmer wie eine Fliege zerquetscht. Die Szene, in die Moore hineinmontiert wurde, stammt aus dem dritten Teil der „Herr der Ringe“-Trilogie; der Elefant, der eben noch Moore in den Boden stampfte, wird wenig später von Oscar- Präsentator Billy Crystal zu Fall gebracht. Für Amerikaner eine leicht verständliche Botschaft: Ein Elefant ist das Symbol der republikanischen Partei. Stürzt also das liberale Hollywood und nicht der Linke Moore George W.Bush?

Damit läse man zu viel in den Aufwärmfilm hinein. In traditioneller Ausgewogenheit bekam jeder in den vier Stunden der Verleihung sein Fett weg, vom rechten Mel Gibson bis zum gescheiterten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, Howard Dean. Die Präsentatoren und Preisträger hielten sich im Wahljahr mit politischen Botschaften zurück. Tim Robbins trug einen Peace-Button am Revers, der Dokumentarfilmer Errol Morris verglich den Irakkrieg mit dem Vietnamkrieg, aber das alles wirkte wie ein müder Abklatsch der Aufregungen des letzten Jahres. Oscar-Skandale sind „So-o-o Last Year“, titelte die New York Times schon im Vorfeld der Verleihung. Sie behielt Recht.

Auch bei den Preisen gab es nur eine Überraschung: dass es keine Überraschungen gab. Der Oscar für Charlize Therons Leistung in „Monster“ war ebenso vorhersehbar wie die vielen Oscars für „Herr der Ringe“. Beide Filme verbindet, dass sie die Preise bekommen haben, weil sie das Machbare dem Nötigen vorgezogen haben. Natürlich hätte es andere Schauspielerinnen als das Exmodel Charlize Theron gegeben, die die Serienkillerin Aileen Wuornos glaubhaft hätten verkörpern können – ohne vorher 15 Kilo zuzunehmen. Wie schon letztes Jahr bei Nicole Kidman, die eher für ihre falsche Nase als für ihre schauspielerische Leistung in „The Hours“ ausgezeichnet wurde, bekommt Theron den Oscar als Anerkennung für ihren Mut zur Hässlichkeit. Die Vorstellung, dass eine hübsche Frau sich hässlich macht, scheint Hollywood so absurd, dass es dafür fast automatisch den Belohnungs-Oscar gibt. Das soll nicht heißen, dass Theron oder Kidman den Preis nicht verdient hätten. Kennt man Fernsehausschnitte von Wuornos, ist man verblüfft, wie genau Theron Mimik und Gestik trifft. Kennt man aber nur „Monster“, erscheint ihr Schauspiel auf eine überschaubare Anzahl von Marotten beschränkt. Die Antwort auf dieses Rätsel liefert Nick Broomfields Dokumentarfilm „Aileen: The Life and Death of a Serial Killer“. Er zeigt, dass Wuornos selbst vor den Fernsehkameras eine Rolle annahm. Theron spielt also eher Aileen Wuornos, die sich selbst spielt, als die Aileen Wuornos, die auf dem Straßenstrich zur Killerin wurde. Dennoch ist dieser Oscar wichtig. Rollen, in denen Frauen den De Niro machen können, sind rar. Vielleicht eine Ermutigung der Filmindustrie, moralisch komplexe Frauenrollen zu schaffen.

An komplexen Rollen mangelt es auch in „Herr der Ringe“ – vielleicht mit einer Ausnahme: Gollum. Ohne diese Figur hätte die Trilogie nicht in dem Maße im warmen Preisregen der letzten Monate gestanden, der jetzt von elf Oscars gekrönt wurde. Gollum ist nicht nur zum emotionalen Zentrum der letzten beiden Teile geworden, die Figur markiert auch eine Zeitenwende in der Filmgeschichte: Zum ersten Mal ist es gelungen, eine digital animierte Figur überzeugend in ein menschliches Schauspielerensemble zu integrieren. Nur: Es gab keine Notwendigkeit, ihn nicht von einem Schauspieler darstellen zu lassen. Gollum ist, wie der Beginn von „Die Rückkehr des Königs“ enthüllt, ein Verwandter der Hobbits, die ja auch von menschlichen Darstellern gespielt werden. Es hätte weniger maskenbildnerisches Können verlangt, einen Menschen in Gollum zu verwandeln als in einen Ork. Genau wie bei der Wahl von Theron wurde auch hier erfolgreich Machbarkeit vor Notwendigkeit gestellt.

Aber genau dieses Prinzip hat Hollywood ja groß gemacht. Auch in diesem Sinne hat sich die amerikanische Filmindustrie mit der 76. Oscar-Verleihung erneut erfolgreich selbst gefeiert.