Anschnallen, Mäuse!

VON STEFFEN GRIMBERG

Der Alltag von Entenhausen hat die Walt Disney Company eingeholt: Onkel Dagobert steht halsstarrig wie immer auf seinem Geldspeicher, nimmt keinen Rat von außen an und bewacht eifersüchtig seine Kreuzer. Neffe Donald rennt in einer Mischung aus moralischer Entrüstung und Tollpatschigkeit gegen dieses Bollwerk an. Und die Panzerknacker nutzen den Zwist, um sich von hinten an die Duck’schen Reichtümer heranzubuddeln.

Dass sich Michael Eisner, Disney-Chef seit 1984, in den letzten Jahren immer mehr zum egomanischen, kontrollfixierten Dagobert Duck gewandelt hat, könnte ihm heute zum Verhängnis werden. In Philadelphia tagt die diesjährige Hauptversammlung der Disney-Aktionäre. Es dürfte voll werden, voller jedenfalls als im Vorjahr, als sich nur gut 100 Leute im verschneiten Denver trafen – ein Blizzard hatte den Flughafen lahm gelegt. Roy Disney, neben Eisner größter Einzelaktionär des Medienkonzerns und „echter“ Neffe von Übervater Walt Disney, ruft zur Abwahl von Eisner auf. Denn niemand anders als der Vorstandschef, so Roy Disney, sei schuld daran, dass am bunten „Magic Kingdom“ die Farbe abblättert und der einst zweitgrößte Medienkonzern der Welt in einer Sinnkrise erstarrt. Eisner, der in seinem Kontrollwahn angeblich sogar über die Farbe der Fußleisten in den Disney-eigenen Freizeitanlagen entscheidet, weigere sich, „jegliche Kritik anzunehmen, kreative Talente ans Unternehmen zu binden oder auch nur einen potenziellen Nachfolger für die Konzernspitze aufzubauen“, giftet Roy Disney, der Ende 2003 von allen Konzern-Ämtern zurücktrat, auf seiner Protest-Homepage www.savedisney.com. Dass sich der Kurs der Disney-Aktie von 42 US-Dollar im Jahr 2000 innerhalb von zwei Jahren mehr als halbierte, sei da nur logische Entwicklung. Und für die zwischenzeitliche Erholung – die Aktie stand gestern vor Börsenbeginn bei 26,87 Dollar – sei vor allem das Übernahmeangebot von Comcast verantwortlich.

Denn wie die Panzerknacker bei den Ducks hatte der größte Kabelfernsehanbieter der USA den Streit bei Disney genutzt und völlig überraschend am 11. Februar rund 66 Milliarden Dollar für den Konzern geboten. Dieses unfreundliche Übernahmeangebot passt Roy Disney voll ins Konzept – schließlich verkündet auch Comcast-Chef Brian Roberts, er könne den Disney-Aktionären aus dem Stand höhere Renditen versprechen.

Die heutige Kabale zwischen Disney und Eisner hat natürlich eine Vorgeschichte. Eine anfangs auch äußert erfolgreiche. 1984 steckte der Konzern schon einmal in einer tiefen Krise. Seit dem Tod von Unternehmensgründer Walt Disney 1966 fehlte der kreative Kopf der Traumfabrik, man machte einfach irgendwie „im Geiste Walts“ weiter und geriet im US-Medienmarkt immer mehr ins Hintertreffen. 1984 gelang es, einen Mann an die Spitze zu holen, der schon die kränkelnden Paramount-Filmstudios wieder nach vorn gebracht hatte: Michael Eisner. Schon damals war die treibende Kraft hinter dem Coup ironischerweise der letzte Spross der Gründerfamilie im Konzernvorstand – Roy E. Disney.

Und Eisner hatte Erfolg. Er sorgte für eine Generalüberholung der angestaubten Marke Disney. Erfand die Kette der Disney-Läden, die weltweit die eigenen Traumwelten kindgerecht vermarkten. Sorgte für einen eigenen Disney-Channel im Pay-TV. Baute die Themenparks des Unternehmens auch international – Eurodisney Paris, Disneyland Tokio – aus. Und begründete 1991 die Zusammenarbeit mit den Cartoon-Spezialisten von Pixar („Toy Story“, „Findet Nemo“).

Mitte der 1990er-Jahre war Eisner ganz oben.

1996 übernahm Disney dann die so traditionsreiche wie angeschlagene TV-Senderkette ABC und den Sportsender ESPN. Manche Medienexperten sehen hier den Anfang vom Ende des Michael Eisner. Denn trotz Programmhits wie der US-Version von „Wer wird Millionär“ und einiger quotenträchtiger Jahre hat Disney mit ABC aber kaum Geld verdient. Und derzeit liegt die Senderkette sogar abgeschlagen auf dem vierten – und letzten – Platz der US-Networks.

Andere sehen schon das Jahr 1994 als Wendepunkt. Damals starb bei einem Heli-Ski-Unfall Eisners Vize Frank Wells, der viel von den egomanischen Zügen seines Chefs abfederte und zwischen Eisner und dem Rest des Managements vermittelte. Erst danach sei Eisner zu dem beratungsresistenten, selbstverliebten Überchef geworden, der kreative Mitarbeiter gleich reihenweise vertrieb. Einer der ersten war 1994 Produktionschef Jeffrey Katzenberg, der ab sofort mit einem gewissen Steven Spielberg unter dem Namen „Dreamworks“ Disney Konkurrenz machte. Sein Nachfolger Michael Ovitz galt zwar als Nummer eins der Hollywood-Filmagenten und guter Eisner-Freund, entpuppte sich in seinem neuen Job aber als Versager – und ließ sich seinen Rausschmiss mit satten 90 Millionen Dollar Abfindung vergolden. Der vorläufig letzte dieser langen Reihe ist Pixar-Chef Steve Jobs. Ende Dezember kündigte er die Zusammenarbeit seines Studios mit Disney auf – aus Frust über monatelange, unproduktive Auseinandersetzungen mit Michael Eisner. Zwei Filme muss Pixar noch mit Disney machen, danach werde man mit jedem anderen Medienunternehmen zusammenarbeiten, aber nicht mehr mit Disney, zitiert die US-Presse den Mann, der im Hauptberuf die Computerfirma Apple leitet.

Dass der Vorstandschef auf der heutigen Hauptversammlung wirklich abgewählt wird, glaubt allerdings nicht einmal Roy Disney. Der Aufsichtsrat, dem er Untätigkeit und Pflichtverletzung vorwirft, hat sich schon vor zwei Wochen ausdrücklich hinter Eisner gestellt. Am Montag legte das Unternehmen mit einer weiteren Pressemeldung nach: „Disneys Management und der Aufsichtsrat sehen Disney als gut geführtes Unternehmen […], das auf Kurs ist, seine Einnahmen in diesem Jahr um mehr als 30 Prozent zu steigern“. Dennoch wollen auch viele der einflussreichen institutionellen Anleger trotz der guten Geschäftszahlen für die letzten drei Monate gegen Eisner stimmen. Mit bis zu einem Drittel „Nein“-Voten rechnet angeblich sogar das Eisner-Lager. In diesem Fall wäre der Mann, der sich zuletzt offenbar selbst für Disney hielt, schwer zu halten: Steve Case, Chef des glücklosen Großfusionisten AOL-Time Warner, musste jüngst schon nach rund 20 Prozent Gegenstimmen bei der Aktionärsversammlung gehen.

Selbst wenn Eisner mit einem blauen Auge davonkommt, gilt eins als sicher: Vorstand und Aufsichtsrat, bei Disney noch als „Board“ in einem Gremium zusammengefasst, marschieren künftig getrennt. Das hatte so auch die US-Börsenaufsicht empfohlen, und so indirekt zumindest einige Kritikpunkte von Roy Disney untermauert.

Sollte der letzte Disney sogar auf ganzer Linie siegen, kann sich Michael Eisner, bevor er ins Flugzeug steigt, immerhin noch mit dem legendären Satz von Unternehmensgründer Walt trösten: „Ich hoffe nur, dass wir eine Sache nicht aus dem Auge verlieren: Alles begann mit einer Maus.“