Der Erfolg der Provokation

Das Wiener Museum für Angewandte Kunst hat eine Werkschau des Aktionisten Otto Muehl eröffnet

Wien erlebt zurzeit einen ganzen Reigen von Ausstellungen seiner Aktionisten. Der frühere Erfolg der Provokation wird heute zum Erfolg der Provokateure. Günther Brus erhält nun einen Staatspreis, dazu wird die Bundeshymne gespielt – zu der er früher öffentlich onaniert hat. Hermann Nitsch ist mit einer seiner regelmäßigen Ausstellungen vertreten. Und Otto Muehl hat eine Werkschau im Museum für Angewandte Kunst.

Muehl ist aber eine eigene Kategorie. Er ist weder ein feiner älterer Herr noch ein netter Bonvivant. Muehl hat bis heute nicht „abgeschworen“. Auch wenn er in zahlreichen Interviews sagt, er sei von seinen Utopien „total“ geheilt, so sprechen seine Diktion, sein Tonfall, sein Auftritt eine ganz andere Sprache.

Wirklich erstaunlich ist aber, dass sich sein wahrer Gegenspieler genauso verhält wie er: Im Boulevard findet sich dieselbe Diskrepanz zwischen Ton und Inhalt. Keiner sagt: „Schweinerei!“ – wie man es hätte erwarten können. Stattdessen schreiben alle – dabei bebend vor Wut –, das sei schlechte, harmlose Kunst. Das Ganze sei ein „Riesendreck“, heißt es in der Presse. Keiner nimmt das Wort „Verbot“ auch nur in den Mund (außer dem linksliberalen Standard, der ein solches zumindest kurz in Erwägung zieht, und der FPÖ, die als Einzige die alten Spielregeln einhält). Vor ein paar Jahren wäre das noch passiert. Aber alle, von der Kronen Zeitung bis zur Presse, schreiben unisono, die Ausstellung sei schlecht. Denn sie trenne Kunst und Leben. Sie dokumentiere die Muehl-Kommune – jenen Bauernhof im Burgenland, wo das freie Kommunenleben als freies Sexualleben für Otto Muehl praktiziert wurde – nicht ausreichend.

Das heißt: Die Kinderschändungen werden nicht ausgestellt. Früher wurden die Kinderschändungen – so wahr sie sind – genutzt, um den ganzen Aktionismus zu kriminalisieren und alle parallelen Versuche, von der antiautoritären Erziehung bis zur Wohngemeinschaft, zu diskreditieren. Nun fordert – verkehrte Welt – der Boulevard Muehls eigenen Kunstbegriff (ebenso wie die Plattform der Exkommunarden), während die Ausstellungsmacher auf dem Standpunkt stehen, dies sein kein „Ersatztribunal“, und das Paradox einer klassischen Kunstschau eines Aktionisten präsentieren. Davon ungerührt, stürmte das Publikum die Eröffnung am Dienstagabend.

Das Nachrichtenmagazin profil sprach in diesem Zusammenhang von einer Sehnsucht nach der „Provokation, der Überschreitung von Grenzen“. Eine absurde Aussage angesichts der völligen Integration der Provokation in den Kunstbetrieb. Absurd auch, wenn etwa Christoph Schlingensiefs derzeitige Exzesse am Burgtheater nur noch eines bewirken: Langeweile. Und genau aus diesem Grund doch nicht so absurd: Denn der Mythos der Aktionisten ist jener einer wahren Übertretung, nicht nur deren Geste. Die Sehnsucht danach ist aber die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, wo eine Übertretung noch möglich war. Dies ist heute Nostalgie. Daran ist nicht zuletzt auch der Erfolg der Provokation schuld.

ISOLDE CHARIM