Wie die Würfel fallen

Loving Las Vegas: Wayne Kramers Spielfilm „The Cooler – Alles auf Liebe“ freut sich am abgetragenen Kasinoschick seiner Halbweltfiguren und atmet dabei die raue Eleganz des Independent-Kinos

VON PHILIPP BÜHLER

„Pech im Spiel, Glück in der Liebe!“ Wer kennt ihn nicht, den gut gemeinten Spruch, eines der durchsichtigsten Ideologeme unserer Zeit. Wo doch jeder weiß, dass im Leben ein Ungemach das nächste unweigerlich mit sich bringt. Doch immerhin gibt es einen Weg, den eigenen Jammer zum Beruf zu machen. Bernie (William H. Macy), ein notorischer Unglücksrabe, dessen Pech von solch göttlicher Erlesenheit ist, dass andere davon profitieren, arbeitet als Cooler. Setzt er sich an einen Spieltisch, gewinnt nur noch die Bank. Die Würfel fallen auf die Eins, die Roulettekugel aufs freie Feld. Denn wahre Trübsal wirkt ansteckend. Bernies Chef, der Kasinobetreiber Shelly (Alec Baldwin), schätzt den so durchschnittlich anzusehenden Angestellten, dessen sagenhafte Gabe bares Geld wert ist. Solange er unglücklich bleibt. Solange er sich, um Himmels willen, nicht verliebt.

Genau das wird aber geschehen und Bernie wie Shelly gleichermaßen in die Bredouille bringen. Wo immer er von nun an auftaucht, stapeln sich die Jetons, rasseln die einarmigen Banditen. Dabei braucht Shelly jeden Cent. Windige Investoren wollen seinen Las-Vegas-Tempel, das Golden Shangri-La, aufwerten – zu einem modernen Unterhaltungskomplex mit Anschluss an Achterbahn, Restaurant und Imax. Dagegen sträubt er sich mit aller Macht. Der Nostalgiker hält Las Vegas für den letzten Ort der Welt, an dem noch ehrliches Geld verdient wird. Ohne Bernies entscheidende Schlüsselqualifikation ist er geliefert.

Die folgenden Verwicklungen sind tragikomischer Natur. Und man würde „The Cooler“ als schrullige Klamotte aus dem Glücksspielermilieu abtun, ginge es hier nicht jederzeit um alles. In der Tat stellt der Film große Fragen. Was steckt hinter Bernies rätselhafter Krankheit, dieser fantastisch anmutenden Kongruenz persönlichen Glücksempfindens und gesellschaftlichen Erfolgs? Handelt es sich schlicht um eine self fulfilling prophecy? Oder ist das Leben ein Kasino, in dem wir alle an einem riesigen Glücksrad stehen, dessen Ausschlag über alles entscheidet?

Man wird die Antwort in der Liebe zwischen Bernie und der attraktiven Bardame Natalie suchen müssen. Sie kommt wie ein Sechser im Lotto. Und so wie William H. Macy und Maria Bello sie darstellen, kann es sich hier nur um einen wundersamen Zauber handeln. Natürlich fragt sich nicht nur Shelly, was die Blondine an dem Verlierertypen findet. Doch diese Liebe ist eben nicht nur gegen alle Regeln. Sondern auch so zärtlich und glaubwürdig, wie man das zuletzt, zwischen Pam Grier und Robert Forster, in Tarantinos „Jackie Brown“ erlebt hat. Nebenbei verdanken wir den beiden eine dieser kostbaren Szenen von ungelenkem Sex, mit denen uns das Kino etwa alle zehn Jahre versorgt. In manchen Dingen ist es sehr ehrlich, das Kino.

Das Drehbuch von Regisseur Wayne Kramer verhindert, dass sich hier irgendjemand in Klischees verrennt. Clever ausgedacht und rechtschaffen epigonal atmet der Film die widerborstige Eleganz eines totgeglaubten Independent-Kinos. Da ist der abgetragene Kasinoschick mit seinen Halbweltfiguren und ihrer Sehnsucht nach einer vergangenen Epoche, dem alten Vegas. Bekannte Bilder von Männern in Anzügen, mit dicken Geldbündeln wedelnd. Aber es gibt auch eine Geschichte, die in aller Ruhe erzählt wird und jede Figur mit einer Vergangenheit und einer möglichen Zukunft ausstattet. Als hätten sich die Coen-Brüder entschlossen, einmal ausnahmsweise nicht völlig durchzudrehen, und zu diesem Zweck beim Drehbuchpapst David Mamet („Haus der Spiele“, „Wag the Dog“) Rat gesucht.

Tatsächlich ist aus diesem Independent-Universum nur William H. Macy übrig geblieben. Eine fast schon logische Besetzung: Der Mann mit dem verloschenen Blick gilt, spätestens seit seiner Rolle als Quiz Kid Donnie Smith in „Magnolia“, als Schutzheiliger aller Verlierer dieser Welt. Die eigentliche Überraschung ist Alec Baldwin. Ganz zu Recht bekam er eine Oscar-Nominierung für die Rolle des Shelly: ein nachdenklicher Entrepreneur alter Schule, der seine Untergebenen liebevoll umsorgt und ihnen im nächsten Moment die Kniescheiben zertrümmert, Las-Vegas-Style. In Wahrheit ist er der Unglücklichste von allen.